Wie eine Kriminalitätswelle inszeniert wird - zur Auseinandersetzung um ausländische ArbeiterInnen in Japan

 

     Die Zuwanderung ausländischer ArbeiterInnen nach Japan geriet dort spätestens in der zweiten Dekadenhälfte der 1980er Jahre endgültig ins öffentliche Bewußtsein. Dies ist auch auf mediale "Skandalisierung" und eine politische Diskussion, ob eine "offizielle Gastarbeiterpolitik" implementiert werden soll oder nicht, zurückzuführen. [Selbst das Magazin Newsweek  reagierte im Herbst 1989 mit einer Titelgeschichte (Powell, Takayama und Shariar 1989) auf diese Entwicklung.] Dazu muß bemerkt werden, daß Japan einen - verglichen mit europäischen Staaten - nur marginalen Ausländeranteil von etwa 0,8 % an der Gesamtbevölkerung von rund 122 Mio. Einwohnern aufweist. 69,3 % dieser (registrierten) Ausländer sind (Nord- und Süd)Koreaner (681.838 absolut von insgesamt 984.455 Personen nicht-japanischer Nationalität), z.T. Nachkommen in der zweiten und dritten Generation derer, die nach der Annexion Koreas als de-facto-Kolonie im Jahre 1910 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges eingewandert sind oder per Deportation zur Zwangsarbeit nach Japan verbracht wurden. Die chinesische Minorität (die ein ähnliches Schicksal mit der koreanischen teilt) stellt etwa 14 % des Ausländeranteils, nur runde 5 % kommen aus "westlichen" Staaten (Daten für das Jahr 1989 aus Yamazaki 1991:138 und 151). Japan hat seit seiner "Landesöffnung" nach einer Phase der Selbstisolation ("Landesabschließung" von ca. 1641 bis 1854) eine rigid-restriktive "Ausländerpolitik" verfolgt, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Fortsetzung fand und im wesentlichen auf Kontrolle zentriert ist (symbolisiert z.B. in der Pflicht jedes residierenden Ausländers permanent seinen "Ausländerausweis" [gaikokujin tôrokushô] mit sich zu führen). Kabinettsbeschlüsse aus den Jahren 1967, 1973 und 1976 zementierten die Regierungslinie keine ("manuellen") (Gast)Arbeiter aufzunehmen (Mori 1989:2f.). Seit den siebziger Jahren gibt es eine - füglich als Frauenhandel zu bezeichnende - meist über (organisierte) Schlepper initiierte "Zureise" von südostasiatischen Frauen (das Gros kommt aus den Philippinen), die (illegale) "Arbeitsplätze" im (sexuellen) "Dienstleistungsgewerbe" zugewiesen bekommen. Seit Mitte der achtziger Jahre erlebt Japan eine verstärkte Zuwanderung männlicher Migranten (teils auf den hohen Yen-Kurs und sinkende Attraktivität von traditionellen "Gastarbeiterländern" des Mittleren und Nahen Ostens zurückgeführt), die als "Arbeitstouristen" nach Japan kommen und sich wegen Distanzen und Finanzen allerdings - im Gegensatz zum Arbeitstourismus in Österreich - eine kurzfristige Rückkehr in ihr Herkunftsland zur "Re-Legalisierung" ihres Aufenthalts nicht leisten können und damit zumeist in die "Aufenthaltsillegalität" abtauchen. Der "geschlechtsspezifische" Umschlag zu einem Übergewicht exponierter männlicher "Illegaler" wurde Ende der achtziger Jahre dramatisiert, entsprechende Datendiagramme erhielten einen spezifischen Kurswert in der heißgelaufenen Diskussion. In einem Inselland, das laut Regierungspropaganda "von einem homogenen Volk bewohnt ist, das wenig Erfahrung im Umgang mit Ausländern aufweist", wurde dieses "neue" Phänomen einer irregulären Arbeitwanderung mit hoher Nervosität und Hektik andiskutiert (allerdings nicht wie in Westeuropa zu einem wahlpolitischen Issue gemacht) und mit einer "panischen" Gesetzesneuregelung beantwortet.  

     Bei der Diskursivierung eines "Problems" um ausländische ArbeiterInnen fiel beim agenda setting  auf, daß sich die japanische Regierung schon früh einen argumentativen und informationspolitischen Platzvorteil schuf, indem sie diverse Forschungsgruppen, Projektteams und Beratungskommissionen inaugurierte, die dann mit Reports und Stellungsnahmen an die Öffentlichkeit traten. Dabei suchte vor allem das Justizministerium u.a. mit der Gründung des Periodikums Kokusai jinryû im Juni 1988, in dem extensiv legistische Optionen und Maßnahmen diskutiert und jüngste Einreise- und "Illegalen"statistiken publiziert wurden, ein Definitions- und Informationsmonopol zu erhalten, das in der Verabschiedung eines revidierten "Ein- und Ausreisekontroll- bzw. Flüchtlingsanerkennungsgesetzes" (verbale Übertragung des umständlichen japanischen Terminus: shutsunyûkoku kanri oyobi nanmin ninteihô), das mit 1. Juni 1990 in Kraft trat, kulminierte. Im populären Sprachgebrauch wird dieses Gesetz mit nyûkanhô  ("Einreisekontrollgesetz") abgekürzt und auf Englisch mit "immigration law" wiedergegeben - ein irreführender Terminus, zumal sich Japan nicht als "Einwanderungsland" definiert.

     Das genannte Gesetz sieht (und sah) einen Aufenthalt unter dem Titel "unqualifizierte Arbeit" nicht vor. Das bedeutet, daß genau die ausländischen MigrantInnen in die Illegalität verwiesen werden, die am japanischen Arbeitsmarkt am nachgefragtesten sind (die Arbeit der männlichen ausländischen Arbeiter wird allgemein mit dem Slogan san ki  = "drei ki" charakterisiert, dabei steht kitanai für schmutzig, kiken = gefährlich und kitsui = anstrengend; ausländische Frauen sind zumeist in der sog. "Vergnügungsindustrie" tätig). Nach dem neoklassischen Arbeitsmigrationsmodell, das "Arbeitskräfte" als ökonomische Ressource sieht, die im freien Spiel von Angebot und Nachfrage mobil (gemacht) wird (was angesichts offizieller politisch-bürokratischer Steuerungsmaßnahmen allerdings nur partiell greift), sind die Pull-Faktoren auf japanischer Seite extrem stark: Einheimische Arbeiter präferieren besser bezahlte, angenehme white-collar-Jobs, weshalb vornehmlich mittlere und kleine Unternehmen in der Produktion sowie der Bausektor unter einem verschärften Arbeitskräftemangel leiden. Die Einkommensdisparitäten zwischen den Entsendeländern und Japan sind zudem enorm (gemessen etwa am Indikator Pro-Kopf-Bruttosozialprodukt ergibt sich für das Jahr 1987 z.B. ein 13,7-faches Gefälle im Vergleich mit den Philippinen und ein 82,4-faches mit Bangladesh!, vgl. Tezuka 1991:43) und machen (auch "illegale") Arbeitsmigration attraktiv (eine Charakterisierung von Arbeitsmigranten mit "Goldgräbermetaphern" verdeckt allerdings, daß diese in der Abwanderung oft die letzte Chance sehen einer tristen Ausgangslage und hoffnungslosen Armut zu entkommen, somit auch "Opfer" der globalen Strukturgewalt ökonomischer Machtverhältnisse sind). Die Push-Faktoren in den Entsendeländern sind evident: Überbevölkerung, Unterentwicklung, Pauperität und hohe Arbeitslosenraten (zur push-pull-Theorie vgl. z.B. Castles und Kosack 1985:26f.). Diese konventionelle ökonomische Theorie stieß in Japan auf breite Akzeptanz (erst jüngst geriet sie als ahistorisch, soziologisch defizitär, ein fiktives rationales "ökononomisches" Subjekt konstruierend, legalistische Eingriffe ausblendend etc. unter Kritik, vgl. Kuwahara 1991:182-185) und kann als dort dominantes "Erklärungsmodell" gelten, dem zufolge durch die Kumulation verschiedener Faktoren Japan "plötzlich" zum Zielland einer "irregulären" Wanderung wurde (der Terminus "irregulär" stammt von Böhning 1984:53 und 81). "Irreguläre" Migration ist begrifflich immer noch unscharf, damit soll aber das Etikett "illegal" für den Aufenthalt und die Arbeitstätigkeit der Migranten vermieden werden (die dominante Askription im japanischen Diskurs lautet dennoch: fuhô zanryû = illegale Aufenthaltsausdehnung und fuhô shurô = illegale Arbeit). Das Label "illegal" überschattet die gesamte Existenz der ArbeitsmigrantInnen, insinuiert eine Kollision mit dem Strafrecht (was nicht der Fall ist) und führt zur Verstärkung des latenten Stereotyps vom "potentiell kriminellen ausländischen Arbeiter", weshalb auch in Japan die Verwendung eines neutraleren Begriffs (z.B. undocumented workers) urgiert wird (z.B. Watanabe 1990a:153, der auch deren "Amnestierung" fordert).

     Unter die Zuschreibung "illegale ArbeiterInnen" werden alle subsumiert, die als AusländerInnen mit dem "Einreisekontrollgesetz" in Konflikt geraten: das absolut größte Kontigent kommt per Touristenvisum (so dies nicht nötig einfach mit Reisepaß) nach Japan "ohne legale Qualifikation für Arbeitstätigkeit" (so die verbale Übertragung für die juridische Bezeichnung: shikakugai katsudô), oder überzieht das Visum (unter den AusländerInnen einfach "overstay" genannt) und arbeitet "illegal" (fuhô shurô). Einige, vornehmlich Frauen, kommen mit einem befristeten kôgyô biza ("Entertainer-" oder Künstlervisum) nach Japan, werden aber häufig als "Hostessen" (= Animierfrauen) angestellt - was das Visum nicht vorsieht (shikakugai katsudô) - und allzu oft zu Prostitution genötigt. Wenn shûgakusei ("Japanischstudenten", deren Gutteil chinesische Staatsbürgerschaft hat) mehr als die 20 ihnen gesetzlich zugestandenen Wochenstunden arbeiten, fallen sie ebenso unter die Kategorie shikakugai katsudô. Selbiges gilt für kenshûsei (trainees oder Praktikanten), wenn sie anderer Arbeit als legal vorgesehen nachgehen, als Nur-Arbeitskräfte ausgebeutet werden und nicht die vorgeschriebene theoretische Ausbildung im Ausmaß eines Drittels ihrer Arbeitszeit erhalten.

     Nach der Revision des Ein- und Ausreisekontrollgesetzes verstärkte sich die Tendenz kenshûsei als billige Arbeitskräfte (sie erhalten durchschnittlich lediglich 60.000 \ "Taschengeld") auf- bzw. auszunehmen. Vor der Revision kamen auch Nikkeijin (remigrierende Nachkommen der ersten oder zweiten Generation von JapanerInnen, die nach Südamerika ausgewandert sind) als Touristen oder mit einem hômon biza (Visum für Verwandtenbesuche, gültig für drei Monate ohne Arbeitserlaubnis) nach Japan, wo sie dann "illegal" arbeiteten. Die höchsten Schätzungen der Zahl der "Illegalen" liegen zwischen 200.000 und 300.000 (Watanabe 1990b:166-168, dort auch obiger Kategorisierungsversuch).

     Die irregulären MigrantInnen kommen aus allen Japan umgebenden südostasiatischen Ländern, "traditionell" aus den Philippinen, rezent vermehrt aus Pakistan und Bangladesh, aber auch aus dem Iran. Die Anzahl der "illegalen" Koreaner, Thai, Malaysier und Taiwanesen nimmt ebenfalls zu. Die diesbezüglichen Daten beziehen sich auf aufgedeckte Fälle, die von der Einreisekontrollbehörde verzeichnet werden. Die Ziffern hängen eng mit der Zugriffsintensität der Kontrollinstanzen zusammen und steigen in "Monaten konzertierter Aktionen zur Exposition Illegaler" signifikant an (vgl. z.B. Gonoi 1989:79). Pakistani und Bangladeshi sind möglicherweise aufgrund ihrer höheren "Visibilität" leichter zu kontrollieren, was eine statistische Verzeichnung wahrscheinlicher macht. Der Fokus der Instanzen sozialer Kontrolle verschob sich zudem auf männliche illegale Arbeiter. Unter Bedachtnahme dieser Momente müssen die offiziellen Daten vorsichtig gelesen werden.

     Mit der Revision des nyûkanhô  schuf sich die Regierung zwei "Hintertüren", um den exorbitanten Arbeitskräftemangel zu mildern, indem sie den legalen Rahmen zur Aufnahme von kenshûsei nach und nach erweiterte und Nikkeijin den Sonderstatus "ResidentInnen" (teijûsha) verliehen, der ihnen uneingeschränkt jede (auch "unqualifizierte") Arbeit ermöglicht. Einer marginalen Deregulierung im "qualifizierten" Sektor stand die Beibehaltung des status quo im "ungelernten" Bereich (= keine Aufnahme ausländischer Arbeiter) gegenüber, weshalb ich bei der "Revision" eher von einer "affirmativen Novelle" sprechen würde, nachdem hier lediglich die längst bestehenden Einreiserichtlinien bestätigt und als gültig deklariert wurden, nicht zuletzt weil diese permanent durch (kontranorm)faktische Entwicklungen unterlaufen (= nicht endende "irreguläre" Zuwanderung) werden. Das Gesetz wurde zusätzlich mit harten Sanktionen (bis zu drei Jahren Freiheitsentzug oder unter 2 Mio \ Geldstrafe) gegen Arbeitgeber "Illegaler" bewehrt, was Rechtsanwälte befürchten läßt, daß die Schwarzarbeit weiter in den Untergrund gedrängt und Ausbeutung verstärkt werde (z.B. KBR 1990:15 und 141).

     Alle potentiellen "Illegalen" (ArbeitstouristInnen, KünstlerInnen, StudentInnen, PraktikantInnen) sind für Viktimisierungen qua Ausbeutung durch Anwerbe- und Arbeitsvermittler (sog. "Broker") anfällig. Diesen Agenten, die sowohl im Entsende- wie im Aufnahmeland aktiv sind, bezahlen die prospektiven ArbeitsmigrantInnen gewöhnlich hohe Provisionen. In Japan werden ihnen in der Folge häufig Anteile von ihrem Lohn abgezogen (eine Praxis, die pinhane heißt). In gravierenderen Fällen erhalten sie nicht einmal den ihnen zustehenden Arbeitslohn (chingin fuharai genannt). In aller Regel kommen die MigrantInnen über Mittelsleute und mit hohen Schulden (gemessen am Standard ihres Herkunftlandes) nach Japan, da sie Kosten für Flug, Reisepaß, Visa, "Vermittlungsgebühren" ... auf sich nehmen müssen. Um diese Schulden zurückzuzahlen und ihren Aufenthalt "profitabel" zu machen, sind die ArbeitsmigrantInnen unter starkem Druck hart zu arbeiten und jede erhältliche Arbeit anzunehmen. Die irregulären ArbeiterInnen sind meist "polyannuale MigrantInnen" (Böhning 1984:80f.). Kristallisationspunkte ihrer Interessen sind hauptsächlich  Remissen (Geldsendungen an Angehörige), Sparen zum Aufbau einer neuen Existenz im Heimatland und bescheidener Konsumgütererwerb - und sie sind meist am (Lebens)Standard ihrer Herkunftsländer orientiert, was (vorübergehend) Deprivationsgefühle in einer fortgeschrittenen Konsumgesellschaft neutralisiert. Sie haben naturgemäß keinerlei Interesse mit der Polizei oder "Immigrationsbehörde" in Kontakt zu kommen und leben in permanenter Angst entdeckt und abgeschoben zu werden, da dies einem Scheitern ihrer Migrationsträume gleichkäme. Journalisten beschreiben wiederholt die segregierte Lebensweise asiatischer ArbeitsmigrantInnen, die möglichst unauffällig agierend auch ihre Freizeit "ohne Öffentlichkeit" in ihren oft räumlich beengten Unterkünften verbringen. Dieser strukturelle Zwang ist die beste Form von Kriminalprävention, zynisch formuliert könnte man dies so wenden, daß die Aufrechterhaltung ihres Illegalenstatus die billigste Form der Verbrechenskontrolle darstellt (so man einer Präventionslogik überhaupt folgen will, obige Denkfigur z.B. in Onuki 1990c:253).

     Nichtsdestoweniger wurde das Argument, ein vermehrter Zustrom ausländischer ArbeiterInnen würde die öffentliche Sicherheit gefährden, von konservativen Politikern, Gewerkschaftlern, Bürokraten, der Polizei und Intellektuellen (prominent und konzentriert von Nishio 1989:242ff. und 266) vorgebracht. Dies unterscheidet die Diskussion um "Gastarbeiter" in Japan in keiner Weise von der in westeuropäischen Staaten, die eine starke Einwanderung erleben. In Westeuropa zeigt die Thematisierung eines den Ausländern zugeschriebenen "hohen kriminellen Potentials" markante Konjukturen im Gleichschritt mit der ökonomischen Gesamtsituation und entsprechenden Skandalisierungen des Gastarbeiterproblems in Politik und Medien (vgl. Pilgram 1984). Im japanischen Diskurs um legale Auf- oder Nichtaufnahme von "Gastarbeitern" finden sich alle transnational bekannten, allenfalls in Details divergierenden Argumente (= Proposition im Nexus mit einer Handlungsoption) wieder. Befürworter spekulierten über Multi-Kulti-Effekte und alternative Entwicklungshilfe über Ausbildung ausländischer Arbeiter in Japan, Gegner äußerten ihre Ängste um Arbeitsplätze, Arbeitsmarktssegmentierung, Lohndrückerei, retardierte Modernisierung etc. "Vorsichtige" wiesen - nicht zuletzt das "(Mißerfolgs)Beispiel" BRD gemäß ihrem Leitinteresse instrumentalisierend - auf soziale Folgeprobleme und hohe Sozialkosten (Wohnungen, medizinische Betreuung, Ausbildung, Verbrechensverhütung [!], Arbeitslosenversicherung etc.) hin. Hier findet sich auch der strategische Ort, über den das Argument von der deteriorierenden öffentlichen Sicherheit importiert wurde. Ist die Frage um "illegale ArbeiterInnen" einmal als "Soziales Problem" definiert, von dem die gesamte (!) Gesellschaft tangiert wird, ist auch die "öffentliche Sicherheit" betroffen. Ist weiters das "Problem (!) der rapide zunehmenden illegalen ArbeiterInnen" (konkreter: "die rasant zunehmende Ausländerkriminalität") durch ebensolche sloganhaften Verkürzungen ins Alltagswissen hinabsedimentiert, ist diesem "Problemkonsens" rational nur noch schwer beizukommen.

     Im Umfeld der Publikation des Polizei-Weißbuches mit einem Spezialreport über ausländische "illegale" ArbeiterInnen im August 1990 erreichte die Frage der Kriminalität von AusländerInnen in Japan ihre höchste Dichte an medialer Aufmerksamkeit. Die stereotype Formel von der "rapide zunehmenden Straffälligkeit von AusländerInnen" war schon davor eine im Kontext von Analysen über Verbrechen von AusländerInnen abrufbare Phrase in den Tageszeitungen. Sie gewann allerdings an Aktualität und wurde nun scheinbar durch "harte Fakten" (d.h. Polizeidaten) untermauert. Medienberichte über ausländische Tatverdächtige führen in den Schlagzeilen nahezu immer deren Nationalität oder Titel wie "AusländerIn, Illegale(r), illegale(r) ArbeiterIn" etc. an. Dies führt tendenziell zur Verstärkung latenter Ängste und Vorurteile, die auch aus Meinungsumfragen abgelesen werden können: 37 % der Gegner einer Aufnahme von ausländischen ArbeiterInnen (44 % des Sample) nannten als Grund Nummer eins: Gefährdung der öffentlichen Sicherheit (Mainichi shinbun vom 5. Februar 1990). Umfragen des Amtes des Premierministers (Sôrifu) zeigen analoge Resultate: 48 % derer, die meinen, Arbeit von AusländerInnen mit einem Touristenvisum sei "nicht gut" (39,4 % der Befragten) nennen die oben angeführte Begründung für ihre Ansicht und 60 % derer, die für schärfere Einreisebeschränkungen als gegenwärtig gegeben plädieren (12 % des Sample), nennen die "Verschlechterung der öffentlichen Sicherheit" als Grund für ihre Entscheidung (Naikaku sôri daijin kanbô kôhôshitsu 1988:141 und 156f.). Kriminalitätsangst - hier vor allem von Personen artikuliert, die ohnedies eine eher restriktive Haltung hinschichtlich einer "geregelten" Zuwanderung offenlegen - ist allerdings ein Topos, das die Stimmungslage in vielen Ländern prägt, die eine unerwartet hohe Immigration erleben (so auch rezent für Österreich Plasser und Ulram 1991:passim). In einem Land aber, das "als eine der sichersten Nationen der Welt und die öffentliche Sicherheit betreffend mit einer günstigen Situation gesegnet" (Shikita und Tsuchiya 1990:2), beschrieben wird, handelt es sich hier um eine besonders sensible Frage, auf die empfindlich reagiert wird.

     Die Sonderreportage über Delikte von AusländerInnen im Polizei-Weißbuch 1990 stellte vermeintlich den notwendigen "statistischen Beweis" zur Verfügung, um den Mythos vom potentiell kriminellen ausländischen Arbeiter plausibel zu machen. Die Medien reagierten flott auf diese Veröffentlichung. Opulente Schalgzeilen wie: "Verbrechen von Ausländern nahmen in zehn Jahren um das Siebenfache zu!" (z.B. Tôkyô shinbun, yûkan vom 7. August 1990) oder: "Rasche Zunahme von illegalen männlichen Arbeitern: Mord, Raub, Gewaltverbrechen erreichen ein Maximum!" (Asahi shinbun vom 8. August 1990) erschienen. Die Graphiken aus dem Weißbuch, die als Indikatoren für eine wachsende Ausländerkriminalität scharf nach oben ansteigende Linien zeigen, wurden ebenso unhinterfragt reproduziert. Dabei handelt es sich vorerst nur um Tatverdächtige, die von der Polizei registriert wurden. Eine Kontrastierung mit Verurteiltenziffern würde zeigen, daß diese Daten ein falsches, deutlich überhöhtes Bild vermitteln (dies lassen aber die japanischen Rechtspflegestatistiken nicht zu, weil hier alle Ausländer, also auch die in Japan residierenden = zainichi-Ausländer, die das Gros der Nicht-Japaner stellen - nicht von kurzfristig aufhältigen = rainichi-Ausländern getrennt - geführt werden).

     Die hübschen Ziffern in der erstgenannten Schlagzeile sind äußerst arbiträr. Versucht man eine analoge Berechnung über einen Zeitraum von fünf Jahren, erhält man bei den Tatverdachten eine Steigerung um das Eineinhalbfache, was natürlich weniger sensationell ist. Die Medienberichte ignorierten zudem die einfache demographische Korrelation, die sich aus der vermehrten Zuwanderung von AusländerInnen nach Japan und deren Straffälligkeit ergibt und legten einseitig Gewicht auf die steigend verzeichnete Kriminalität, ohne die Zusammenhänge zu analysieren. Die Polizeidaten wurden penibel zitiert, ohne einen Hinweis auf oder Kritik am Datengenerierungsprozeß. Dies macht die Gültigkeit der verbreiteten Kritik evident, die meint, "Zeitungsberichte über Verbrechen sind in Japan nichts anderes als Polizeiberichte" (Yamaguchi 1990:102), da die Reporter im wesentlichen von Quellen der Polizei oder Staatsanwaltschaft abhängig sind. Das wird bei Lektüre anderer Artikel über strafrechtliche Delikte transparent, die meist auf das Stadium der Verhaftung konzentriert sind und mit Floskeln wie: "laut polizeilichen Ermittlungen ..." eingeleitet werden.

     Die "Korrektur" oder Bereinigung polizeilicher Statistiken wurde zu einem Denksport für kritische Kriminologen. Versucht man ihre Methoden auf die vorliegenden Daten anzuwenden, lassen sich folgende Verzerrungsfaktoren ausmachen:

1. Die polizeiliche Rubrizierung rainichi gaikokujin (wörtlich… "AusländerInnen, die nach Japan kommen": zainichi gaikokujin  = in Japan ansässige AusländerInnen werden dabei exkludiert) schließt Touristen und sog. "hit and run-Täter" ein. Letztere Bezeichnung beschreibt Mitglieder organisierter Verbrecherbanden, die kurzfristig "arbeiten" (hit = zuschlagen; meist Raub, Einbruch, Ladendiebstahl oder Kreditkartenmißbrauch) und in ihr Herkunftsland zurückkehren (= run). Es wird postuliert, daß diese Sorte von Verbrechen ebenfalls dramatisch zunehme (Mishima 1988:93). Diese professionell verübten Delikte müßten von den ausgegebenen Polizeidaten subtrahiert werden und können nicht den "illegalen" ArbeiterInnen unterschoben werden. Laut Auskunft eines Polizeioffiziers werden diese Profi-Verbrechen allerdings nicht gesondert registriert (Gonoi 1989:126ff.). Berichte über diese Berufsverbrechen können dahingehend wirken, daß die Anzeigeneigung der Bevölkerung und Geschäftsinhaber steigt - der wesentliche Faktor, der zu polizeilicher Verzeichnung führt. Die Polizei mag - "berufliche" Motive unterstellend und Delikte als "professionelle" umdefinierend - angezeigte Fälle eher an die Staatsanwaltschaft weiterleiten und dies selbst in Bagatellfällen bei nicht-professionellen AusländerInnen, die dann nicht mit einer Entschuldigung davonkommen, wie das bei japanischen Tatverdächtigen vorkommt. Dies addiert neue Zahlen zu den offiziell registrierten Fällen von AusländerInnen und verstärkt weiterhin das Image von deren hoher Kriminalität. Damit wird ein "klassischer" positiver (im technischen Sinne) Feedback-Prozeß initiiert. Empirische Befunde für dieses Modell sind rar, aber Indizien sprechen durchaus dafür: nach Auskunft eines Polizeioffiziers wurden alle Eigentumsdelikte, in die Ausländer involviert waren und am Bezirksgericht Tôkyô im Jahre 1988 zur Verhandlung kamen, an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet (Onuki 1990b:45f.; trotz Opportunitätsprinzip sollen laut einem Staatsanwalt alle asiatischen Tatverdächtigen prinzipiell angeklagt werden, vgl. Onuki 1990a:94; auf polizeilicher Ebene wurden dagegen z.B. 1985 bei Eigentumsdelikten von Japanern ein rundes Drittel "informell" ohne Einleitung einer Anklage sanktioniert, vgl. Gaikokujin no ryôkei mondai kenkyûkai 1990:165).

2. "Illegale" ArbeiterInnen sind in der Altersklasse der Zwanzig- und Dreißigjährigen überrepräsentiert (etwa ein Drittel der männlichen "Illegalen" ist zwischen 25-30 Jahren alt, Hômushô nyûkoku kanrikyoku 1989:40). Leute in diesem Alter gehören in jeder Gesellschaft zu den kriminell aktivsten. Ein Vergleich mit der japanischen Gesamtbevölkerung wäre schwer verzerrt.

3. Marginal dürfte sich auch der "geographische" Faktor auswirken: "Illegale" ArbeiterInnen leben konzentriert in Großstadtregionen. Diese weisen generell eine höhere Kriminalität auf als ländliche Gebiete.

4. "Illegale" ArbeiterInnen weisen eine im Vergleich zur japanischen Gesamtbevölkerung unausgeglichene Berufsstruktur auf. Aufgrund der  Arbeitsmarktsituation wird ihnen eine Unterschichtsposition zugewiesen, oft unter Absehen von ihrer eigentlichen ausbildungsgemäßen Qualifikation. Sie sind somit strikterer polizeilicher Kontrolle ausgesetzt (z.B. in Tagelöhnervierteln oder im "Vergnügungsgewerbe"), pflegen subkulturelle Gewohnheiten (Konfliktaustragung auf archaische = physische Art, Konsum von "illegalen" Stimulanzien, Glücksspiel) und werden in der Folge eher kriminalisiert. Wegen ihrem illegalen Status und wegen Sprachproblemen fehlt es ihnen an Handlungskompetenz und Beschwerdemacht in der Interaktion mit Kontrollinstanzen wie Polizei und Einreisekontrollbehörde, was ihre Wahrscheinlichkeit in den Kriminalstatistiken aufzuscheinen, erhöht (einen theoretischen Rahmen für diese selektive Polizeiarbeit bieten Bohnsack und Schütze 1973).

5. Die Zunahme bei "intelligenten Verbrechen" (chinôhan, Betrug und Fälschungen eingeschlossen) wird teilweise durch die legale Situation mitbestimmt und "produziert". Um ein Visum zu erhalten oder zu verlängern, fälschen "Illegale" die dazu benötigten Dokumente. Diese "strategische" Kleinkriminalität ist natürlich für JapanerInnen "unnötig".

6. Geschlechtsspezifische Entwicklungen zeigen, daß seit 1988, auffallend seit 1989 die Anzahl der männlichen Arbeitsmigranten die der weiblichen übertrifft (Hômushô nyûkoku kanrikyoku 1989:39). Dieser Trend wird besonders in bezug auf Gewaltverbrechen, die seit 1987 eine echte Zunahme aufweisen, relevant. Es handelt sich um eine "natürliche" Entwicklung, weil diese Deliktform von männlichen Tätern dominiert wird. Gewaltverbrechen erhalten mehr Medienzuwendung, verstärken eher diffuse Befürchtungen und sind leichter zur Erzeugung einer Kriminalitätspanik einzusetzen. Die von der Polizei errechneten Steigerungsraten sind extrem hoch, da die Ausgangszahlen sehr gering sind - ein typisches statistisches Artefakt. Rechtsanwälte vermuten zudem, daß die Definition "Gewalttat" vorschnell zur Hand ist, wenn ein Sachverhalt betreffend Ausländer unter eine strafrechtrechtliche Kategorie subsumiert werden soll (Onuki 1990c:253). Gewöhnlich zeigt sich, daß nach dem Ausfilterungsprozeß von der Anzeige über die Einleitung eines Strafverfahrens bis zum Urteilsspruch juridische Tatbestände mächtig heruntergehandelt und abgemildert werden. Die Polizei betont die Zunahme von Gewaltverbrechen deshalb so emphatisch, weil alle anderen Deliktformen trotz vermehrtem Zustrom von AusländerInnen nach Japan, abnehmende Zahlen aufweisen (zum Vergleich die Angaben in Keisatsuchô 1990:36).

7. Zur "Situation des permanenten Verdachts" (Feest 1973). Diesbezüglich gibt es keine empirischen Erhebungen für die Situation in Japan, dennoch machen einige Indizien dieses Konzept plausibel. Beamte der Einreisekontrollbehörde sowie die Polizei erhalten häufig anonyme Hinweise auf "verdächtige" AusländerInnen. Das setzt sie unter Handlungszwang (z.B. Yamatani 1989:204f.; Gonoi 1989:75f.). Wegen "illegalem Aufenthalt" oder "illegaler Arbeit" ist Verhaftung inflagranti crimine möglich. Dies führt zuweilen zu Investigationen wegen anderer Tatverdachte (bekken taiho genannt). Polizei-Sonderreporte und polizeiliche Forschung haben den Effekt die Aufmerksamkeit auf neue Phänomene zu lenken. Kriminologie wird in Japan vornehmlich von polizeiinternen Forschern oder Leuten der Nationalen Polizeibehörde betrieben (Miyazawa 1990:36). Etliche Artikel im polizeiwissenschaftlichen Magazin Keisatsugaku ronshû führen zur Aufmerksamkeitslenkung Richtung AusländerInnen und verschärfter Kontrolle (wie gefordert in Mishima 1988; Kitamura und Hayakawa 1988; Toshiro 1989; Sasaki 1990). Dies erinnert an eine self fulfilling prophecy: steigende Kriminalitätsraten von AusländerInnen werden postuliert, Kontrolle und Zugriffsintensität werden erhöht, die Registrierung von Delikten nimmt zu, dies "bestätigt" vermeintlich die Alltagstheorie von der hohen Ausländerkriminalität usw. Das muß auch in Verbindung mit den Allokationsstrukturen innerhalb der Polizei gesehen werden: neue Sonderabteilungen für Maßnahmen gegen Ausländerverbrechen wurden gegründet und finanzielle Mittel sowie Personal werden benötigt. Ausländische "illegale" ArbeiterInnen sind leicht kriminalisierbar und erfolgreiche Registrierung (d.h. hohe Kriminalitätsziffern) dienen als Legitimation für budgetäre und personelle Forderungen (selbst Zeitungsberichte übernehmen diese Argumentationsfigur: "Steigende Verbrechenszahl von AusländerInnen, Präventionsnotwendigkeit, Sonderkommission für Gegenmaßnahmen zum Ausländerproblem von Präfekturpolizei gegründet"; z.B. Yomiuri shinbun und Asahi shinbun vom 24. Juni 1988).

     Einige Indizien sprechen dafür, daß die japanische Bevölkerung bei Ausländern eine latent höhere Anzeigebereitschaft zeigt. Bei einer polizeilichen Untersuchung in acht (nicht namhaft gemachten) Regionen, in denen konzentriert (vermutlich) "illegale" Ausländer wohnen, ergab sich, daß  innerhalb von drei Monaten (Januar bis März 1990) insgesamt 504 Beschwerden über Ausländer bei der Polizei deponiert wurden, wobei die meisten Lärmbelästigungen und (defiziente) Müllbeseitigung betrafen. Diese recht große Zahl an Beschwerdeführungen indiziert eine hohe Empfindlichkeit der japanischen Population, die sich bei geringfügigen Irritationen und Ärgernissen offenbar genötigt sieht, einen professionellen Dritten (Polizei) für eigentlich bagatellhafte Konfliktlösungen mobiliseren zu müssen. Dies ist - wie auch die von der Polizei eruierten "Unsicherheitsgefühle", gaben doch 55,9 % der Bewohner obig designierter Gegenden auf die entsprechende direkt-suggestive Frage (!) an, "eine vage, aber doch Unsicherheit" zu verspüren - für die Polizei Anlaß ihre Streifentätigkeit zu intensivieren (Keisatsuchô 1990:31f.). Daß diese diffusen Ängste zu einer regelrechten Kriminalitätspanik eskalieren können, zeigen zeitlich und örtlich disparat, nichtsdestoweniger periodisch auftretende Gerüchte, die punktuell zu hastigen Reaktionen führten, z.B. indiziert durch sprunghafte Umsatzsteigerungen bei tragbaren Alarmgeräten in der betroffenen Region. Der Inhalt des Rumors war - bis auf die Varianten - jeweils gleich: "Eine Hausfrau wurde von einer Gruppe von Ausländern vergewaltigt", variiert heißt es dann, "eine alte Frau wurde vor den Augen ihres Mannes mißbraucht", mit laufender Verbreitung des perniziösen Klatsches wird dann kolportiert, "das Opfer habe Selbstmord begangen" usw. Die erste Fama dieser Sorte trat Ende 1990 in der Präfektur Saitama in Umlauf, weitere analoge Ondits werden Ende 1991 aus den Präfekturen Tochigi und Ibaraki rapportiert, letzter Schauplatz eines analogen Gerüchts war im Juni 1992 Tôkyô, wo dann Iraner als mutmaßliche Täter figurierten. Die Polizei dementierte entsprechendes Gerede jeweils als haltlos, auch um nicht mangelnder Präventionsarbeit bezichtigt zu werden (vgl. dazu die korrespondierenden Zeitungsberichte: Asahi shinbun vom 28. November 1990; Yomiuri shinbun vom 7. und 13. Dezember 1991 und Asahi shinbun vom 5. Juli 1992). Dies kann durchaus als Indikator für eine latente Furcht vor "gefährlichen" Ausländern, die damit unter einen Generalverdacht geraten, gelesen werden.   

     Die angeführten Momente und - wie ich später anskizzieren möchte - diskriminierende Praktiken in der Justiz, ergeben zusammen den Eindruck ausländische ArbeiterInnen seien überproportional kriminalitätsbelastet. Der Rechtsanwalt Onuki Kensuke präsentierte gut gemeinte Zahlen, um das Gegenteil zu demonstrieren (seine Datenlage wird - wie mir persönlich mitgeteilt wurde - in Juristenkreisen kontrovers diskutiert, insbesondere wird Onuki der Datenzugang abgesprochen). Er sah sich die Kriminalitätsbelastungsziffern (KBZ = hier Delikte auf je 10.000 Angehörige einer Population) näher an. Diese zeigen eine signifikant geringere Belastung der Ausländer. Allerdings vergleicht er rainichi gaikokujin mit der japanischen Gesamtbevölkerung ohne die oben angeführten Korrekturbedürftigkeiten zu beachten. Unter Berücksichtigung der Verzerrungsfaktoren (Punkt 1-6) und der "Konstruktion korrekterer" Kontrollgruppen, könnte sich die Diskrepanz zwischen den angegebenen Daten noch erhöhen. So kommen 1988 auf 10.000 AusländerInnen nur 11,9 Eigentumsvergehen, auf 10.000 JapanerInnen 115,8; bei Gewaltverbrechen lautet die KBZ 0,2 (AusländerInnen) versus 5,4 (JapanerInnen: Onuki 1990c:256).

     Wie dem auch sei, es ist keineswegs meine Intention einen mathematischen Beweis für die niedrige Kriminalitätsrate von AusländerInnen in Japan zu führen (was ja einer Affirmation des Vorurteils gleichkäme, indem gezeigt würde, daß die Ausländer doch "normal" sind). Vielmehr geht es mir darum, den strategischen Einsatz des Arguments von der sich verschlechternden öffentlichen Sicherheit wegen vermehrtem Zustrom ausländischer ArbeiterInnen aufzuweisen. Außerdem würden Kriminalstatistiken in ihrer Aussagekraft überbewertet werden. Sie sind zunächst einmal lediglich ein Tätigkeitsnachweis der Polizei über die erfolgreiche Applikation des Etiketts "Tatverdächtige(r)". Medienkapagnen und polizeiinterne Instruktionen können die Kontrollinstanzen unter Zugzwang setzen, mehr Kriminelle zu "produzieren". Kriminalstatistiken per se sind deshalb soziologisch besehen weder richtig noch falsch, nicht unkorrekt oder unbrauchbar, wohl sind sie aber Teil der sozialen Realität und ein wichtiges kriminalpolitisches Instrument (das Zitat von Black und eine Analyse von Kriminalpolitiken in Pilgram 1982).

     Zur Interaktion zwischen allgemeiner Politik, spezieller Kriminal(isierungs)politik und Medien möchte ich exemplarisch die "Behandlung" von Migrantenminoritäten, denen ein "ungewohnter" kultureller Hintergrund (z.B. islamische Konfession) zugeschrieben wird und die vom Phänotypus her eine höhere Visibilität aufweisen als z.B. Asiaten aus China oder (Süd)Korea (was nicht rassistisch mißzuverstehen ist, Arbeitgeber aber dennoch dazu führen soll die weniger "auffälligen" Asiaten zu bevorzugen, vgl. Harada 1990:59) und die zugleich die vor- bzw. letzte irreguläre "Einwanderungsgruppe" bilden. Es handelt sich um Bangladeshi und Pakistani einerseits, deren zunemende Einreise seit 1988 festgestellt wird und iranische Staatsbürger, die seit 1990 vermehrt nach Japan kommen. In diesen Fällen kam es mit der offiziellen Begründung, daß die freie Zureise ohne Visum "zunehmend für illegale Erwerbstätigkeit mißbraucht" werde, zur einstweiligen Stornierung der Visafreiheit (mit 15. Januar 1989 für Pakistani und Bangadeshi bzw. mit 15. April des Jahres 1992 für Iraner). In beiden Fällen wurde im Vorfeld dieser Maßnahme in den Medien die "Anwesenheit" dieser Migrantengruppen (via Kriminalberichterstattung) mit notorischer Regelmäßigkeit skandalisiert. Dabei fällt auf, daß Pakistani und Bangladeshi betreffend, ein eigenes Medientopos und Devianzstereotyp geschaffen wurde, das unter "gewaltbesetzte Konflikte unter Landsleuten" rubriziert und damit "wiedererkennbar" gemacht wurde. Es handelt sich hierbei meist um, durch die Lebens- und Arbeitssituation der Betroffenen präformierte Probleme (Arbeitsvermittlung), die dann auf brachiale Art einer "Lösung" zugeführt werden (beziehungskriminologisch besehen sind dies keinesfalls "außergewöhnliche" Delikte, denen aber qua Ausländerstatus der Involvierten "exotischer" Nachrichtenwert zukommt). Dies wird dann dahingehend trivialisiert, daß in Japan "gesetzlose Staaten im Staate" entstünden, die ethnischen Minderheiten "Binnenkriege" führten und sich Tötungsdelikte unter Landsleuten (= Pakistani und Bangladeshi) häuften (z.B. Nishio 1990:187f.). Noch prägnanter läßt sich die Legitimitätsbeschaffung (für die Visumspflicht) mittels Kriminalstatistiken anhand der letzten Zuwanderungsgruppe exemplifizieren. Iraner halten sich in Tôkyô an Orten mit "hoher Öffentlichkeit" (Ueno-Park, Yoyogi-Park) auf, wo sie sich täglich zu Hunderten versammeln, und die ihnen als Job- und Informationsbörse dienen. Dadurch gerieten sie in den Blickpunkt der Medien. In einer Fernsehsondersendung (26. März 1992, ABC-TV, Morgenreport) wurden die offiziellen Statistiken präsentiert, die die Aggravierung der Situation veranschaulichen sollten. Dabei ergibt sich bei der Einreisestatistik von Iranern folgendes (Oberflächen)Bild:

 

Jahr               Einreise        Einreiseverweigerung

 

1987              19.818        17

1988              14.090        19

1989              16.282        325

1990              31.289        1.471

1991              45.152        7.450 (bis Nov.)

 

     Hier zeigt sich mit aller gewünschten Deutlichkeit, daß über den erfaßten Zeitraum sich die Einreiseanzahl zwar nur um wenig mehr als das Doppelte erhöht hat (mit Schwankungen), hingegen ein Einreiseverbot am Flughafen um ein Mehrhundertfaches öfter ausgesprochen wurde. Dies erweist die markant gestiegene Sensibilität und erhöhte Bereitschaft der Einreisekontrollbehörde den Iranern das Einreisemotiv "illegale Erwerbstätigkeit" zu unterstellen und sie gar nicht erst ins Land kommen zu lassen. Im Kommentar zur politisch-bürokratischen Maßnahme der Aufhebung der Visafreiheit wurde vom Ansager explizit gemacht, daß ein Grund dafür darin liege, daß sich strafrechtlich relevante Ereignisse dramatisch gehäuft hätten. Dazu wird folgende Hochglanztafel eingeblendet:

 

Strafrechtsverletzungen durch Iraner in Japan

 

Jahr               Vorkommnisse       Verhaftete

 

1984              36                25

1985              55                41

1986              51                37

1987              101               29

1988              96                37

1989              31                31

1990              131               99

1991              590               561

 

     Die Nationale Polizeibehörde liefert die klassische Interpretation: Mit der Visumspflicht habe sie eine wirksame Handhabe gegen verbotene Ausländerarbeit erhalten (denselben Optimismus hegt auch das Justizministerium), zudem habe sie schon lange beim Außenministerium deren Wiedereinführung moniert. Eine kontrollteheoretisch ambitionierte (und begründete) Optik käme zu folgendem Schluß: Das "Iraner-Problem", das "dornengleich ins Auge fällt" und medial drmatisiert wird, soll endlich "gelöst" werden (was gemäß polizeilicher Logik meist repressiv verstanden wird). Um den eigenen Forderungen Nachdruck zu verleihen, genügen polizeiinterne Anweisungen, um die (selektive) Aufmerksamkeit auf die Iraner zu lenken und den Kontrollzugriff zu verschärfen. In der Folge werden Iraner bei kleinen Ärgernissen und Bagatellen (die strafrechtlich umdefiniert werden) kriminalisiert, was die offiziellen Statistiken hochtreibt (auch Effekt des medial geschürten Dauerverdachts und "kooperativer" Anzeigeneigung von Geschäftsinhabern z.B. bei Ladendiebstählen bzw. der Bevölkerung). Dabei handelt es sich nicht einmal um einen lineare Erhöhung der Verdachtsbelastung. Der für die letzten zwei Jahre ausgewiesene Zuwachs korreliert mit der verstärkten medialen Aufmerksamkeit und dem damit einhergehenden Druck, unter den die Instanzen sozialer Kontrolle geraten, der wiederum in einer erhöhten Produktion von Kriminalisierten kondensiert.               

     Auch die Justiz spielt eine Rolle bei der selektiven Produktion von krimineller Realität (zu Selektivitätsmechanismen vgl. Sack 1985). Dies erweist sich in den einzelnen Verfahrensstadien von den polizeilichen und staatsanwaltlichen Erhebungen bis zu den Urteilssprüchen. In der Untersuchungshaft werden ausländische Tatverdächtige (wie japanische auch) mit dem strukturellen Problem des "Ersatzgefängnisses" (daiyô kangoku) konfrontiert. Die Zellen dieses "Polizeigefängnisses" sind zumeist in räumlicher Nähe zu den Vernehmungszimmern installiert. Dies macht jederzeitige und überlange Verhöre möglich. Illegitime Praktiken wie Vorenthalten von Essen und Trinken, Schlafentzug, Einschüchterung und physische Gewaltanwendung können leicht vertuscht werden (die menschenrechtliche Situation in den Ersatzgefängnissen wurde sogar im Amnesty International Bericht 1991 problematisiert). Falsche "Geständnisse" sind häufig die Folge, nicht zuletzt Konsequenz des Glaubens von Polizei und Richtern, daß "ein Geständnis der König der Beweise" sei, eine Tendenz, die unter dem Schlagwort jihaku henchô (Überschätzung der Bedeutung von Geständnissen) heftig kritisiert wird (siehe Nihon bengoshi rengôkai 1988:30f.). Ausländische Verhaftete werden oft degradiert oder beleidigt (z.B. in Anspielung auf ihren islamischen Glauben, vgl. Odagiri 1990:157 und Matsunaga 1990:146). Einige ausländische Tatverdächtige gaben an, wegen Übermüdung oder Angst ein "Geständnisprotokoll" unterschrieben zu haben (Takahashi 1989a:103). Freunde der Inhaftierten kommen nicht zu Besuch, vor allem wenn sie selbst "illegal" aufhältige Landsleute sind und ihre Aufdeckung befürchten. Aus demselben Grund fehlen oft wichtige Entlastungszeugen. Rechtsanwälte (zumeist Pflichtverteidiger = kokusen bengoshi) werden erst bei anberaumter Anklage, d.h. zu spät, bereitgestellt. Eine Studie der Rechtsanwaltsvereinigung in Tôkyô zeigt, daß kokusen bengoshi häufig in höherem Alter und unterbeschäftigt sind. Andere Strafverteidiger meiden Fälle, in die Ausländer involviert sind, weil sie wegen der Sprachprobleme zeitaufwendig und zudem unterbezahlt sind (Takahashi 1989b:102ff.). Inhaftierte sind daher oft isoliert und leiden unter verschärfter Haftdeprivation.

     Auf die Probleme, die sich beim Dolmetschen ergeben, wird von Rechtsanwälten wiederholt und schon fast rituell hingewiesen. Problematisch sind vor allem Polizeibeamte, die die Rolle des Dolmetschers übernehmen, weil sie geneigt sind gemäß ihrem "Erkenntnisinteresse" (= Fahndungserfolg = Überführung) zu dolmetschen. Schwierig wird es für die Tatverdächtigen auch, wenn statt ihrer Muttersprache Englisch als "Verkehrssprache" eingesetzt wird (dies ist durchaus üblich und kann auch aus polizeilichen Studien erschlossen werden, vgl. Kitamura und Hayakawa 1989:32: in drei Vierteln der nicht-japanischen [= rund 60 % aller] Vernehmungen von rainichi-Ausländern fungierten Polizeibamte als Dolmetscher und in 67,5 % der Fälle wurden diese in Englisch geführt - trotz einer klaren Überrepräsentanz [= über 80 %] asiatischer Tatverdächtiger).

     AusländerInnen unterliegen einer höheren Anklagewahrscheinlichkeit, insbesondere seit 1989 nahmen Anklagen wegen Bagatelldelikten (bizai kiso) zu (Daten vom Bezirksgericht Tôkyô in Onuki 1990b:45f.). Rücklegung der Anklage und Verfahrenseinstellung ist für AusländerInnen ebenso seltener als bei JapanerInnen, insbesondere wenn man ins Kalkül zieht, daß rund drei Viertel der Nicht-JapanerInnen zum ersten Mal straffällig wurde. Auch die Chance die Strafe auf Bewährung ausgesetzt zu erhalten, ist für Ausländerinnen geringer, ihre Bewährungsrate ist bedeutend kleiner als die von japanischen Verurteilten (Gaikokujin no ryôkei mondai kenkyûkai 1990:165ff.). Wenn man z.B. die Bewährungsquote bei Ladendiebstahl dahingehend bereinigt, daß nur die TäterInnen, die keine Vorstrafen oder polizeiliche Registrierung aufweisen zum Vergleich kommen, so erhalten japanische Verurteilte zu 100 %, ausländische dagegen nur zu 21,4 % eine Strafe auf Bewährung (Zeitraum 1985-1988: Onuki 1989:16).

     Die Urteile sind häufig schwer und werden mit der Notwendigkeit der Generalprävention erklärt: Ein Malaysier (10 Monate Haft unbedingt für versuchten Betrug mit einer gefälschten Kreditkarte, keine Vorstrafen in Japan, wie mir persönlich mitgeteilt wurde, habe der Verurteilte ein längeres Strafregister in seiner Heimat aufzuweisen, was dem Richter den Verdacht nahelegte, er sei zur Tatbegehung nach Japan gereist) bekam folgendes zu hören: "Wenn so ein Vergehen ungeahndet bleibt, ruft dies in verschiedener Hinsicht in der friedlichen japanischen Gesellschaft Desintegration und Chaos hervor. ... In jüngster Zeit häufen sich Verbrechen dieser Art durch AusländerInnen, vom Standpunkt einer generellen Prävention her gesehen, ist eine schwere Strafe wünschenswert." Ein Pakistani wurde ebenso zu 10 Monaten Gefängnis (unbedingt) verurteilt. Er stand wegen versuchten Raubes vor Gericht, da er nachts einer Frau die Handtasche entreißen wollte. In der Urteilsbegründung heiß es: "Es ist der Stolz der japanischen Gesellschaft, daß Frauen auch in der Nacht auf der Straße gehen können. Durch Ihre Tat werden die Leute verunsichert, dies wird schwer geahndet. Darüberhinaus gibt es jüngst vermehrt Verbrechen durch sich illegal im Lande Aufhaltende, zur Generalprävention ist ein hartes Urteil erwünscht." (beide Fälle in Takahashi 1989c:91). Hier wird deutlich, daß semi-ideologische Formeln ("Frauen können in Tôkyô nachts unbehelligt spazieren gehen") und die stereotype Phrase von der "rapiden Zunahme von Verbrechen durch AusländerInnen" im Gerichtssaal dazu eingesetzt werden, harte Strafen zur Abschreckung zu legitimieren.

     Vor allem nachdem die Novellierung des nyûkanhô im Dezember 1989 im Parlament verabschiedet wurde, stieg die Zahl der Anklagen wegen illegalem Aufenthalt, einem Verwaltungsvergehen, das bislang als Bagatelle (bizai) behandelt wurde und ohne Anklage zum Abschub führte (Mainichi shinbun vom 17. März 1990). Dies liegt auf der Linie von Aussagen von Politkern, die strenge Kontrolle und Gegenmaßnahmen bei illegaler Arbeit einfordern und setzt die Skandalisierung eines Sozialproblems durch die Massenmedien (kriminal-)politisch in die Praxis um. Häufige Anklagen und schwere Urteile verdichten ebenso das Image von einer hohen Kriminalität von AusländerInnen. Zeitungsberichte tun ein übriges, zumal Delikte von AusländerInnen "exotischen" Nachrichtenwert haben und als neues Phänomen "im Trend" der gesellschaftlichen Entwicklung liegen. Die Schlagzeilen nennen nahezu immer die Nationalität der Tatverdächtigen. Gewaltverbrechen wird große Medienaufmerksamkeit geschenkt und zuweilen gibt es Serienberichte über ebendiese. Instruktives Beispiel ist eine Opfer-Täter-Transaktion unter Pakistani, die wegen finanzieller Querelen eine gewalttätige Auseinandersetzung hatten. Alle großen Zeitungen brachten Meldungen unter schockierenden Überschriften wie: "Pakistani ... Rachefeldzug ... Gruppenattacke" (siehe Nihon keizai shinbun, Mainichi shinbun oder Kanagawa shinbun vom 9. Mai 1988).

     Die Stilisierung der Anwesenheit von "illegalen" AusländerInnen zu einem Sozialproblem, das künftige Konflikte erwarten läßt durch die Massenmedien und diesbezügliche Äußerungen von Politikern, die sich in der offiziellen gesetzlichen Richtlinie niederschlugen, nach der "unqualifizierte" ArbeiterInnen zu Erwerbstätigkeit nicht ins Land gelassen werden, schaffen ein Gesamtklima, in dem ausländische ArbeiterInnen als potentielle Gefahr und Bedrohung für die "Harmonie" der japanischen Gesellschaft gesehen werden (eine Fülle von Argumenten dieses Zuschnitts in Nishio 1989). Die Kriminalstatistiken sind ein Resultat dieser Atmosphäre: ein Produkt der Anzeigeneigung der Bevölkerung, der reaktiven und proaktiven Aktionen der Polizei, strikter Strafverfolgung und harter Urteile durch die Gerichte. Die (konsente) Erzeugung einer Kriminalitätswelle ist somit eine komplexe Interaktion zwischen den Massenmedien, der Bevölkerung, Exekutive und Justiz sowie genereller wie spezieller Kriminalpolitiken. Keiner dieser Faktoren wird isoliert wirksam, zusammen allerdings initiieren sie einen Feedback-Prozeß mit gegenseitigen Rückkoppelungseffekten. Dieser ist nicht das Ergebnis einer bewußt inszenierten konzertierten Aktion zur Kriminalisierung ausländischer ArbeiterInnen, sondern eher ein Mechanismus, der seine eigene Dynamik entwickelt (einzige Gegensteuerung wird von engagierten Rechtsanwälten und Organisationen zum Schutz der Rechte "illegaler" ArbeitsmigrantInnen versucht, sie bleibt aber nicht zuletzt wegen geringer Öffentlichkeitsmacht einflußschwach).

     Die Illegalisierung der ausländischen ArbeiterInnen (im "unqualifizierten Sektor") ist in zweierlei Hinsicht funktional: 1. nach der kapitalistischen Logik: es existiert eine mobile, disponible Reservearmee billiger Arbeitskräfte, die leicht ausbeutbar ist. 2. als disziplinierende Maßnahme: der illegale Status macht Forderungen auf seiten der ArbeiterInnen schwierig, weil sie Anzeige bei der Einreisekontrollbehörde und Abschub fürchten, was ihre Migrationsziele zunichte machen würde. Die MigrantInnen werden zu Subordinationsleistungen gezwungen, die ihre Majorität von devianter Existenzbewältigung abhalten - trotz Exploitation, Diskriminierung und Deprivationen.

     Die Kriminalität der ArbeitsmigrantInnen ist eine expressive Reflektion ihrer strukturellen Position in der Gesellschaft. Ihre Arbeitsbedingungen und Probleme bei justiziellen Verfahren sind dieselben, mit denen auch JapanerInnen (besonders Unterschichtsangehörige) konfrontiert werden. Ausländische ArbeiterInnen inkorporieren daher ein aufklärerisches Potential, weil sie immanente Probleme der japanischen Gesellschaft transparent machen, die in ihrem Fall in verschärfter Form sichtbar werden. Die irreguläre Zuwanderung ausländischer ArbeiterInnen für diese schon existenten Porbleme verantwortlich zu machen (z.B. die Segmentierung des Arbeitsmarktes - ein beliebtes Argument von Gewerkschaftlern gegen die Aufnahme von "Gastarbeitern") ist nichts anderes als eine Selbstimmunisierung gegen Kritik an diesen endogenen Zuständen. Diese Sündenbockfunktion der AusländerInnen verstärkt das Bild von einer "sozialen Bombe", die mit Kontrolle und (meist repressiven) "Gegenmaßnahmen" entschärft werden müsse. Das stigmatisierende Label "illegal" führt dazu die Existenz ausländischer ArbeiterInnen per se zu illegalisieren, was weitere Kriminalisierung in einem gesamtgesellschaftlich (der legalen Einreise von Ausländern zwecks Abreitsmigration gegenüber) "protektionistischen" Klima "protegiert" und erleichtert.

     Das Argument von der hohen Kriminalitätsrate der AusländerInnen dient nicht zuletzt der Rationalisierung latenter xenophober Vorurteile und als Legitimation für rigide Kontrolle und restriktive Maßnahmen gegen ausländische ("illegale") ArbeiterInnen. Dies gleicht durchaus der diskursiven Situation über Gastarbeiter in westeuropäischen Ländern (und gilt möglicherweise global für die "Internationale 'illegaler' Arbeitsmigranten").

 

 

 

 

 

 

 

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Crime and criminal policy in Japan from 1926 to 1988. Analysis and evaluation of the Shôwa Era. Tôkyô: Japan Criminal Policy Society 1990

Takahashi Hidemi

"Tôkyô gaikokujin saiban 1. Keareta shôgen (Ausländer am Gericht Tôkyô 1. Verschwundene Beweisaussage)", QA 9 (1989a), 101-105

"Tôkyô gaikokujin saiban 2. Bengoshi no fuzai (Ausländer am Gericht Tôkyô 2. Bengoshi no fuzai. (Ausländer am Gericht Tôkyô 2. Abwesenheit von Rechtsanwälten)", QA 10 (1989b), 101-105

"Tôkyô gaikokujin saiban 3. Hô no moto no fubyôdô (Ausländer am Gericht Tôkyô. Ungleichheit vor dem Recht", QA 11 (1989c), 89-93

N.N.

"Gekizô. Gaikokujin hanzai jûnen de nanabai (Rasante Zunahme: Verbrechen durch Ausländer in zehn Jahren um das Siebenfache)", Tôkyô shinbun (Abendausgabe) vom 7. August 1990

Toshiro Kazuo

"Gaikokujin rôdôsha mondai no genjô to gaikokujin rôdôsha ni kakawaru koyô kankei jihan no sôsa o meguru shomondai (Gegenwärtige Lage des Problems der ausländischen Arbeiter und diverse Probleme bei der Ermittlung von Delikten betreffend ihre Anstellung", Keisatsugaku ronshû 10 (1989) 89-105 () und12 (1989), 121-146 (ge)

Watanabe Hidetoshi

"Ima, kinkyû ni surubeki koto (Was jetzt dringend zu tun ist)", Narizawa 1990a:148-155

"Kuiyaburareta nyûkan taisei (Das ruinierte Einreisekontrollsystem)", Karabao no kai (Hg.): Nakama ja nai ka gaikokujin rôdôsha. Torikumi no genba kara. (Sind die ausländischen Arbeiter nicht unsere Kollegen? Aus der Praxis der Konfliktlösung. Tôkyô: Akashi shoten 1990b: 165-179

Yamaguchi Masanori

"Nyûsu kachi handan kijun no kenshô (Untersuchung zu Nachrichtenwertstandards)", Narizawa Yoshinobu (Hg.): Hanzai hôdô no genzai (Gegenwärtige Situation der Kriminalberichterstattung). Tôkyô: Nihon hyôronsha (= Hôgaku seminâ zôkan. Sôgô tokushû shîrîzu 4 (1990),94-115

Yamatani Tetsuo

"Kochira japayuki-san kanrikyoku (Hier ist die Kontrollbehörde der japayuki-san)", Ishii Shinji (Hg.): Japayuki-san monogatari (Erzählungen zu japayuki-san = ArbeitsmigrantInnen).  2. Aufl. Tôkyô: JICC 1989 (= Bessatsu Takarajima 54), 200-221

Yamazaki Tetsuo

"Nihon no gaikokujin seisaku no jitsujô (Fakten zur japanischen Ausländerpolitik)", Tezuka Kazuaki u.a. (Hg.): Shinpojiumu. Nihon to Doitsu no gaikokujin rôdôsha (Symposium: Ausländische Arbeiter in Japan und Deutschland). Tôkyô: Akashi shoten 1991: 137-155

N.N.

"Gaikokujin rôdôsha no jiken, jiko ga kyûzô. Kensatsu ga taisakuin setchi (Un- und Vorfälle mit ausländischen Arbeitern nehmen rasch zu. Präfekturpolizei gründet Kommission für Gegenmaßnahmen", Yomiuri shinbun vom 24. Juni 1988

"'Shimin ni ranbô sawagi'. Gaikokujin rôdôsha ga jinkô no 4 %. Kyûzô e no fuan haikei ('Aufregung wegen Gewalt gegen Bürgerin'. Ausländische Arbeiter: 4 % der Einwohner. Unsicherheit wegen rasanter Zunahme im Hintergrund)", Yomiuri shinbun vom 7. Dezember 1991

"Kokoro no nai dema kannai de mo. 'Gaikokujin ni osowareta...' Gokai ni ohire Herzlose Fama auch in der Präfektur. 'Wurde von Ausländern überfallen...' Aufgebauschtes Mißverständnis)", Yomiuri shinbun vom 13. Dezember 1991

 

 

 

 

 

 

Erschienen in:

Arno Pilgram (Hg.): Grenzöffnung, Migration, Kriminalität. Baden-Baden: Nomos 1993 (= Jahrbuch für Rechts- und Kriminalsoziologie 1993), 195-212