Wolfgang Herbert Anmerkungen zur aktuellen
Diskussion um Neo-Nationalismus und die "multikulturelle
Gesellschaft". Mit einer Nachbemerkung zum Konzept der Transkulturalität. 1. Einleitung In diesem Essay soll vorerst anhand der
einschlägigen Literatur gezeigt werden, daß es sich bei
Nationalismus, Ethnizität und Rassismus um hochgradig imaginäre und
fiktive Konzepte handelt, die nichtsdestoweniger menschliches Denken und
Handeln bestimmen (dabei präsentiere ich dies auf einer hohen Abstraktionsebene
und verzichte auf genaue Daten, Namen von Organisationen, Personen etc., jene
finden sich jederzeit in der zitierten Literatur). "Pogrome entstehen im
Kopf" heißt es richtig und radikal und müssen auch von dorther verhindert werden. Der Aufruf
eine "multikulturelle Gesellschaft" auszubilden, verdankt sich einem
Kulturbegriff, der letztlich der Romanitk des frühen 19. Jahrhunderts
geschuldet ist und modernen Gesellschaften nicht gerecht wird. Es handelt sich
jeweils um vereinfachte, binäre, arbiträre, reduktionistische und
deterministische Konzepte, die es zu überschreiten gilt, wie dies im
Begriff der Transkulturalität
auch zum Ausdruck kommen soll. Hierbei handelt es sich einerseits um die
Anerkennung und Bewußtmachung der seit jeher multikulturellen
Verfaßtheit modernisierter Gesellschaften, die pluralistisch und
multivalent organisiert sind und andrerseits um ein Sich-Offenhalten für
zukünftig sich intensivierende Austausch- und Lernprozesse. Geschieht die
gesellschaftliche Integration über die Akzeptanz der dort herrschenden politischen
Kultur, werden ethnische
Lebensformen wie auch die Transzendierung dieser in der Akzeptanz der
Eigenartigkeit des anderen und unter Einräumung gleicher Freiheiten
relativ insignifikant. Sie sind für die Organisation einer Gesellschaft
nicht konstitutiv. Ethnische oder nationale Identitäten verlieren ihren
Absolutheitscharakter und und werden nur zu einem Identitätsmerkmal unter
vielen anderen, das genausogut bejaht wie überschritten werden darf. Statt
dem verbissenenen Festhalten an Herkunft und ähnlichen Chiffren gilt es,
einen spielerischen Umgang mit "Identitäten" einzuüben, bei
dem durchaus selbstbewußt "Fremdes" integriert oder verworfen
werden kann, ohne auf kurzfristige Verstörungen sofort mit Ausgrenzungen
und Köpfe-Einschlagen zu reagieren.
2. Zum Begriff
Nation Bis zum Programm "ein Staat = eine
Nation = ein Volk" hat es einiges an ideologischer Begriffs- und
Überzeugungsarbeit gebraucht. Nationalismus dieser politischen
Prägung ist ein historisch junges Phänomen. "Jedem Kind einen
Lampion und jeder 'Nation' ihren eigenen Staat" (Lodovico 1992:189) war
die Zauberformel, die nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Wilson'schen Programm
"nationaler Selbstbestimmung" eine neue Ordnung nach nationalen
Kriterien in Europa etablieren sollte. Allerdings wurden damit nur ethnische
Minderheiten innerhalb national definierter Territorialstaaten bzw. die
Grundlage für Vertreibungen, Aussiedlungen, separatistische Bewegungen
etc. geschaffen. Die ernsthafte und konsequente Verfolgung des
"nationalen" Prinzips unter der Forderung der Übereinstimmung
von ethnischen und politischen Grenzen führt zur "Barbarei"
(Gellner 1992:250), ist eine "Kannibalen-Parole" (Lodovico 1992:190)
- was vom ehemaligen Jugoslawien auf tragische Weise verifiziert wird.
Historiker weisen schon lange und offenbar vergeblich daraufhin, daß
gilt: "Für kein einziges Großvolk kann man ein hohes Alter,
ungebrochene Kontinuität oder gar - liebstes Kind der Nationensucher und
Nationenbastler - ethnische Homogenität belegen." (Lodovico 1992:191).
Nationen - und das erweisen die im folgenden kurz referierten jüngeren
Studien zum Nationalismus eindrucksvoll und jeweils ein wenig anders gewichtet
- sind etwas Gemachtes, "Erfundenes", Imaginiertes. Bei den Römern hieß die
Göttin der Geburt und der Herkunft "Natio". Von dort her
läßt sich die Bedeutung "Abstammungsgemeinschaft"
ableiten, die durch geographische, kulturelle Nähe und Gemeinsamkeiten in
Sprache, Geschichte, Traditonen, Sitten etc. bestimmt sei. Daneben gab es aber
seit der frühen Neuzeit einen konkurrierenden Sprachgebrauch: Nation als
Träger der Souveränität. "L'existence d'une nation est
... un plébiscite de tous les jours" wie dies von Ernest Renan auf seine deutlichste
Formel gebracht wurde (zit. in Habermas 1992:636). Auch Hobsbawm verweist auf
diesen "volksrevolutionären" Aspekt des Sprachgebrauches von
"Nation" als dem Staatsvolk, das Gemeinwohl gegen Privilegien,
Souveränität gegen Beherrschtsein einforderte. "Ethnische
Gruppenunterschiede waren unter diesem revolutionär-demokratischen
Blickwinkel ebenso unerheblich wie später für den Sozialismus."
(Hobsbawm 1992b:31). In Deutschland verweist Habermas wiederholt darauf,
daß "Nation" dort einen fatalen Beigeschmack von
völkischer Ideologie erhalten hat und stellt dem die
"republikanische" Variante gegenüber: "In Frankreich hat sich das
Nationalbewußtsein im Rahmen eines Territorialstaates ausbilden
können, während es sich in Deutschland zunächst mit der
romantisch inspirierten und bildungsbürgerlichen Idee einer 'Kulturnation'
verbunden hat. Diese stellt eine imaginäre Einheit dar, die damals in den
Gemeinsamkeiten der Sprache, der Tradition und der Abstammung Halt suchen
mußte, um über die Realität der bestehenden Kleinstaaten
hinausgreifen zu können. Noch folgenreicher war, daß sich das
französische Nationalbewußtsein im Gleichschritt mit der
Durchsetzung demokratischer Bürgerrechte und im Kampf gegen die
Souveränität des eigenen Königs entfalten konnte, während der
deutsche Nationalismus, unabhängig von der Erkämpfung demokratischer
Bürgerrechte und lange vor der Durchsetzung des kleindeutschen
Nationalstaats von oben, aus dem Kampf gegen Napoleon, also gegen einen äußeren Feind entstanden ist. Aus einem solchen
'Befreiungskrieg' hervorgegangen, konnte sich das Nationalbewußtsein in
Deutschland mit dem Pathos der Eigenart von Kultur und Abstammung verbinden -
ein Partikularismus, der das Selbstverständnis der Deutschen nachhaltig
geprägt hat." (Habermas 1993:191, Hervorhebungen im Original)1 Dabei handelt es sich gerade bei der
"deutschen Nation" um eine geschichtsphilosophische und politische
Konstruktion par excellence, die nur über die Fiktion einer historischen
Verbindung zwischen "Germanen" und "Deutschen" hergestellt
werden konnte, dies obwohl sowohl der Begriff "Germania" von der
römischen Antike bis in die Neuzeit ein geographischer war, wie auch
"der Ausdruck 'deutsche Nation' ... immer die Verbindung zum 'Heiligen
Römischen Reich deutscher Nation' herstellte, also gerade - modern
gesprochen - ein supranationales Gebilde meinte, dem selbstverständlich
Ungarn, Kroaten, Norweger, Böhmen etc. mitangehörten" (Lodovico
1992:197). Die Verknüpfung besonders der Sprache mit politischen Zielen
(Kartographie) und die metaphysische Überhöhung des Volkes in seinem
"Geiste", der sich in Sprache, Sitten, kulturellen Produkten
(Literatur etc.) verkörpere und auch "rein" erhalten werden
solle, wurde in Deutschland besonders von Herder, Fichte, Schleiermacher
bewerkstelligt - immer in Abgrenzung zu Frankreich und letztlich im Hinblick
auf eine politische Einheit, die ja erst spät, nämlich 1871, Gestalt
annahm - daß der Nationalismus romantischer Prägung eine im 19.
Jahrhundert in Deutschland favorisierte Doktrin war, zeigt Kedourie in
ausgezeichneter Weise (Kedourie 1993). Diese Ideen der kulturellen
Homogenität, determinierenden Kraft von Kultur(nation) und eines
entsprechenden "Reinheitsgebots" steigen - vor allem im
Rechtspopulismus - wie Zombies aus den Gräbern und feiern als
Wiedergänger Renaissance. Mit der Konzeption des "Nationalstaates" konnten alte
Loyalitäten (dynastische wie etwa im ethnisch indifferent organisierten
Habsburgerreich bzw. konfessionelle) umgepolt werden auf den Staat, der
handfeste politische Ziele der Herrschaft und administrativen Überwachung
sowie der Kontrolle der Gewaltmittel verfolgte. Schulpflicht, Wehrdienst,
Steuerleistungen, Bevölkerungsstatistiken flankieren die Bildung von
Nationalstaaten (ein machtpolitscher Aspekt, der bei einer voluntaristischen
Nationsdefinition als "täglichem Plebiszit" ins Hintertreffen
gerät, vgl. Haferkamp 1992). Daß die nötige
"Homogenisierung" der Staatsbürger über die Schaffung und
Kodifizierung einer Hochsprache geschieht und durch Erziehung und Vermittlung
von Geschichtsbildern, die von "erfundenen Traditionen" strotzen, und
daß ethnische Identitäten weitgehend "austauschbar" und
konstruierbar sind, führt Hobsbawm (1992b) in seinem Klassiker mit vielen
Beispielen vor. Einem ähnlichen Ansatz ist Anderson (1993) verpflichtet,
der u.a. aufzeigt, welche Rolle Presse und Buchdruck zur Erzeugung
"imaginierter Gemeinschaften" gespielt haben. Es handelt sich bei
dem, was eine Nation ausmacht, also immer um etwas, das nicht ursprünglich
gegeben wäre, sondern um ein von seiten der Intellektuellen, Historiker,
Linguisten, Politiker etc. geschaffenes und konstruiertes Projekt. Am besten
kommt dies im Ausspruch Massim d'Azeglio's zum Ausdruck, der nach der
politischen Einigung Italiens meinte: "Wir haben Italien gemacht, nun
müssen wir Italiener machen." (zit. in Hobsbawm 1992a:613). Was ich
mit diesen notwendig kursorischen Andeutungen zur "Nation" erreichen
will: ein Bewußtsein der historischen Gewachsenheit, der
"fiktiven" Dimension, sowie Veränderbarkeit dessen, was
"Identität" ausmacht, sollte sich diese, wie heute leider wieder
en vogue, an der eigenen "Nation" aufbauen wollen. "Was wir
heute erleben, ist ein allgemeiner Rückzug aus der sozialen in die
Gruppenidentität." (Hobsbawm 1992a:615). Die "Nation" als
"In-group" zu sehen, benötigt Fantasie und führt
unausweichlich zu Divisionen und Antagonismen. Wer Angehöriger einer
"Nation" ist, stellt sich zudem völlig unterschiedlich dar, ob
in republikanischer oder "völkischer" Tradition gedacht wird -
und das hat für das Selbstverständnis einer Gesellschaft (in Europa
je immer "multikulturell") entscheidende Bedeutung - nicht zuletzt,
wenn es um Verteilungskämpfe am Arbeitsmarkt oder in der Sozialpolitik
geht - aber auch bei den Straßenkämpfen Jugendlicher, sie sich nach
ethnischen Kriterien in Gangs zusammenschließen. 3.
Ethnizität Ethnizität ist ein Terminus, der seit
den 80er Jahren wieder in die Soziologie (vor allem die der
"Minderheiten") Eingang gefunden hat. Wieder deshalb, da schon Max
Weber Ethnizität beschreibt als "ethnischen Gemeinsamkeitsglauben":
"Wir wollen solche Menschengruppen, welche aufgrund von Ähnlichkeiten
des äußeren Habitus oder der Sitten oder beider oder von
Erinnerungen an Kolonisation und Wanderung einen subjektiven Glauben an eine
Abstammungsgemeinschaft hegen, derart, daß dieser für die
Propagierung von Vergemeinschaftung wichtig wird, dann, wenn sie nicht 'Sippen'
darstellen, 'ethnische' Gruppen nennen, ganz einerlei, ob eine
Blutsgemeinschaft vorliegt oder nicht." (Weber zit. in Brumlik 1990:188).
Ethnizität beschreibt im modernen Sinn vor allem den Kampf von ethnisch
definierten oder sich eben ihrer "Ethnizität" bewußt
gewordenen Minoritäten um Rechte in einem Nationalstaat (einen
Überblick über die noch ethnologisch befrachteten Ethnizitätstheorien
bei Yoshino 1992:69-81; die Diskussion ist hochkomplex, vgl. die Beiträge
in den Anthologien RuMiE 1992 oder Dittrich und Radtke 1990b). Ethnizität
entsteht nicht aus sich selbst, sondern in Auseinandersetzung mit der
"Mehrheitsbevölkerung", die ein entsprechendes Bewußtsein
durch Ab- und Ausgrenzung erst weckt. Ethnizität kann in einem
nicht-askriptiven Sinne verstanden werden als Identifikationsbedürfnis
aufgrund eines "sense of identity/ sense of difference". Dabei geht es auch um
strategischen Einsatz der Ressource "Ethnizität", die
mobilisiert werden kann im Distributionskampf um Macht, Geld oder Bildung. Im
angloamerikanischen Bereich ging es hierbei auch um die Diskussion positiver Diskriminierung
("affirmative action": die ja inzwischen weitgehend zurückgedreht wurde).
Ethnizität wird dabei von "Rasse" klar unterschieden:
"[E]rstere ist nicht essentialistisch und vermittelt den Individuen ein
Gefühl der Zugehörigkeit, wohingegen der 'Rassen'begriff den Anderen
als in seiner Eigenart festgelegt konstruiert. Ethnizität konstruiert
Gemeinschaftlichkeit, Rassismus konstruiert Andersheit." (Anthias
1992:93). Ethnizität als bewußt übernommene Kategorie verlangt
Identitätsmanagement bei den Minderheitsangehörigen und deren Organisation
als Gruppe. Als politische "pressure-group" kann diese in der Folge Ethnizität
für politische Ziele instrumentalisieren. In der Bundesrepublik werden Gastarbeiter
durch die Festschreibung ihres Ausländerstatus und die Vorenthaltung
bürgerlicher Rechte (z.B. kommunales Wahlrecht) quasi von staatlicher
Seite "ethnisiert" (und das nicht unbedingt entlang ethnischer
Linien). Das heißt, daß ihnen aufgrund ihres Ausländerstatus
bis in die zweite, dritte Generation qua bürokratischer Hürden eine
echte politische und staatsbürgerliche Partizipation verweigert wird, womit
sie zwangsläufig ein Gefühl ihres "Andersseins" vermittelt
bekommen - trotz weitgehender Integration als Lohnarbeiter und Konsumenten und
auch als Wirtschaftstreibende. Hierbei spielt die Rechtslage des "ius
sanguinis" - also
die Abstammungsideologie (und ein "romantischer" Volksbegriff) - den
Ausschlußfaktor bzw. das Hindernis zu einer Einbürgerung (die nach
"ius soli",
also Terriotorialprinzip, durch Geburt oder langjährigem Aufenthalt
relativ hürdenlos zugänglich ist). Ethnizität ist damit nicht
nur eine subjektive Kategorie, sondern nicht selten Zustandsbeschreibung einer
Klassenlage bzw. sozialen Marginalisierung durch Diskriminierungen (weshalb
auch davor gewarnt wird durch eine Konzentration auf den kulturellen Aspekt die
"Ethnisierung" von eigentlich sozialen Konflikten voranzutreiben). Ethnizität im engeren Sinne spielt
vor allem in der Diskussion um eine multikulturelle Gesellschaft eine Rolle,
wenn sich eine kollektive Neubesinnung auf "Wurzeln" und Traditionen
sowie spezifische Kulturbestände als Forderung nach Anerkennung und
Verwirklichungschancen in der jeweiligen Lebenswelt artikulieren, weshalb ich
dort noch einmal darauf zurückkomme. Auch bei Ethnizität handelt es
sich soziologisch-konstruktivistisch besehen, um ein imaginäres,
arbiträres, ideologie-anfälliges Erzeugnis, das Minoritäten oft
in Defensive gegen eine vereinnahmende nationalstaatliche Einebnung von
Differenzen zu einer Neu-Definition ihres Status und ihrer Rechte dient. Die
spezifische Differenz zum Nationalismus ergibt sich daraus, daß dieser
aus der behaupteten kulturellen Eigenart ein politisches Programm der
Staatlichkeit ableitet - wobei Ethnizität im Falle eines separatistischen
Bedürfnisses dahingehend umkippen kann. 4. Rasse und
Rassismus "Der neue Rassismus ist ein Rassismus
der Epoche der 'Entkolonialisierung', in der sich die Bewegungsrichtung der
Bevölkerung zwischen den alten Kolonien und den alten 'Mutterländern'
umkehrt und sich zugleich die Aufspaltung der Menschheit innerhalb eines
einzigen politischen Raumes vollzieht. Ideologisch gehört der
gegenwärtige Rassismus, der sich bei uns um den Komplex der Immigration
herum ausgebildet hat, in den Zusammenhang eines 'Rassismus ohne Rassen', wie
er sich außerhalb Frankreichs, vor allem in den angelsächsischen
Ländern, schon recht weit entwickelt hat: eines Rassismus, dessen
vorherrschendes Thema nicht mehr die biologische Vererbung, sondern die
Unaufhebbarkeit der kulturellen Differenzen ist; eines Rassismus, der -
jedenfalls auf den ersten Blick - nicht mehr die Überlegenheit bestimmter
Gruppen oder Völker über andere postuliert, sondern sich darauf
'beschränkt', die Schädlichkeit jeder Grenzverwischung und die
Unvereinbarkeit der Lebensweisen und Traditionen zu behaupten." (Balibar/Wallerstein
1992:28). In diesem längeren Zitat sind mehrere
beachtenswerte Punkte enthalten: zum einen die Spezifik des Rassismus als einer
Ideologie, die Menschen nach biologizistischen, phänotypusfixierten
Askriptionen hierarchisiert in Über- und Unterlegene, zum anderen die
Verschiebung des Diskurses in Richtung "kultureller Unterschiede",
die die Rede von "Rassenunterschieden" ersetzt, aber eigentlich meint
- das gilt vor allem von der "Neuen Rechten". Wissenschaftlich ist
der Begriff "Rasse" dekonstruiert und salonunfähig geworden-
wobei er paradoxerweise im populären Sprachgebrauch durchaus vermehrt
wieder auftaucht.2 Am nachhaltigsten hat wohl Miles für
die Aufgabe des Rassebegriffes plädiert, der durch
"Rassisierung" zu ersetzen sei, um deutlich zu machen, daß es
sich um ein soziales Konstrukt handle, das zur Legitimation
sozio-ökonomischer Machtgefälle diene. Er führt an,
"daß es nicht die realen oder eingebildeten Merkmale als solche
sind, die Auswirkungen haben, sondern daß in bestimmten historischen
Konstellationen Menschen gewisse biologische Merkmale mit Bedeutung
ausgestattet haben und diese Bedeutung (und das Konzept 'Rasse') benutzt haben,
um Unterscheidungen zu treffen und um auszuschließen." (Miles
1990:169) Das Wort "Rasse" selbst kommt seit dem 13. Jahrhundert in
romanischen Sprachen auf, dürfte aus dem Arabischen kommen, in dem "ras" Kopf, Haupt, (Ober-)Haupt eines
Clans oder Stammes, übertragen also auch Abstammung, bedeutet. Erst im 19.
Jahrundert wird es eingedeutscht. Ursprünglich eine aristokratische
Erfindung ("Blutlinie"), wurde es später zur wertfreien (?)
Klassifizierung von menschlichen Groß-Gruppen eingesetzt. "Erst mit
der Zuordnung positiver bzw. negativer geistiger und moralischer Werte zu
biologisch angeblich konstanten 'Rassen' (1775) begann der moderne Rassismus im
engeren Sinn." Und: "Zum rassisitischen Dogma wurde 'Rasse' durch die
Korrelierung unterschiedlicher moralischer und geistiger Werte mit
äußeren Merkmalen sowie durch ihre hierarchische Anordnung nach
'rassischen' Wertigkeiten, entsprechend dem sozioökonomischen Entwicklungsgefälle
der verschiedenen Groß-Gruppen." (Geiss 1988:16f. und 38). Der
"wissenschaftliche" Rassismus war die Ideologie par excellence zur
Rechtfertigung von Sklaverei und Kolonisation. Im (sozial)wissenschaftlichen
Diskurs sind biologisch-physiognomische Taxonomien unter dem Begriff
"Rasse" diskreditiert (die "Pferdehändler-Auffassung"
wie das Tocqueville auf den Punkt gebracht hat). "Rasse" gilt analog
zu "Nation" als imaginierte Gemeinschaft, die entweder von den
betreffenden Gruppen selbst oder durch Zuschreibung von außen sozial
konstruiert wird. Dabei gilt Rasse quasi als schicksalsbestimmend,
unveränderbar, determinierend, weil genetisch oder sonstwie festgelegt.
Das Phänomen der Rechtfertigung von Herrschaft und Diskriminierung unter
Berufung auf "unveränderliche Unterschiede" kann verschiedene
Gestalten annehmen und mit einer weiten Begrifflichkeit ließe sich sagen: "Rassismus liegt vor, wenn rassische oder
ethnische Differenzen dazu benutzt werden, um entsprechend definierte Gruppen
von der vollständigen Teilnahme am politischen und gesellschaftlichen
Leben auszugrenzen. Solche Forderungen werden auch auf der Grundlage von
Klasse, Geschlecht oder Alter erhoben, doch spielen dabei andere Arten der
Inferiorisierung eine Rolle. De facto wird der rassistische Diskurs durch die
Verwendung ethnischer Kategorisierungen charakterisiert (die entlang
kultureller, sprachlicher oder territorialer wie auch unterstellter
biologischer Grenzen gezogen werden können), die für eine festgeschriebene, unveränderliche und
deterministische Differenz stehen, welche Grundlage für Ausgrenzung und
Unterordnung, manchmal auch für Ausbeutung und Unterdrückung abgibt.
Hauptkomponente des rassistischen Diskurses ist die Berufung auf, wie Cohen ...
sagt, 'Genealogien einer artbedingten Differenz'". (Anthias 1992:97) So besehen, kann man den in der
Bundesrepublik herrschenden Ausländergesetzeszustand (besonders im Konnex
mit dem Staatsangehörigkeitsrecht) füglich als
"institutionalisierten oder strukturellen Rassismus" bezeichnen3 , da hier für
"deutschstämmige" Aussiedler Sonderkriterien für eine
rasche Einbürgerung geboten werden, die den nun zum Gutteil über
Jahrzehnte oder in zweiter Generation in Deutschland lebenden (ehemaligen)
Gastarbeitern, (heute) besser Immigranten, nicht zugute kommen. Jedenfalls
bleibt zu bedenken, daß ganz offizielle Unterscheidungen zwischen
Personen - um das, mit Verlaub, einschlägig zu sagen - "mit deutschem
Blut" und Personen ohne ein solches, ganz kruden - diesmal sich auf
"Rasse" berufenden - Denkmustern Vorschub leisten kann. 5. Die neue
Rechte: Multikulturalismus als Apartheid Kurz möchte ich die grundlegenden
Ideologeme der "Neuen Rechten" skizzieren, um später
verschiedene Denkfallen bei einem naiven Multikulti-Konzept beseitigen zu
können. Bei der "Neuen Rechten" handelt es sich quasi um die
intellektuelle Speerspitze des Rechtsextremismus, wobei die Abgrenzung gegen
letzteren graduell bleibt. In ihren Publikationsorganen schreiben auch rechtskonservative
Politiker, Verbindungen zur rechtsextremen bzw. rechtsradikalen Szene sind
ebenfalls gegeben (hierfür und das folgende die instruktiven Artikel bzw.
Anthologien, denen diese entnommen sind: Feit 1991 und Kratz 1991). Die Neue
Rechte ist insoferne gefährlich, als sie im Rahmen der allgemeinen
Rechtswende nationalistisch-faschistoides und geschichtsrevisionistisches
Gedankengut hof- und diskussionsfähig zu machen versucht. Zudem
"unterwandert" sie opportunistisch New-Age-Bewegungen ebenso wie konservative
Grüngruppierungen. Im ökologischen Schafspelz kommt uns ein
antiliberaler Wolf entgegen. Wovon heult er? Vorerst wendet sich die Neue
Rechte gegen alle Formen des Universalismus und gegen die Ideen von
Freiheit-Gleichheit-Solidarität, weil diese "vorderasiatisch-semitisch"
(!) und deshalb uneuropäisch seien. Damit werden das Christentum
(Gleichheit des Menschen vor Gott), der Liberalismus (Gleichheit vor dem
Gesetz) und Sozialismus (soziale Gleichheitsforderung) in homologer Manier
abgelehnt. Jedem egalitären Denken wird ein "nominalistisches"
Denken in Unterschieden entgegengesetzt. Allgmein gültige Menschenrechte
seien ebenso Fiktion wie die "Menschheit", die
völkisch-kulturell aufgespalten sei, und Weltanschauung, Recht, Moral
partikular nach Volksbesonderheiten ("Identitäten") zu
organisieren habe. Die "egalitaristischen Humanitaristen" würden
nur die "Entfemdung der Völker von sich selbst" vorantreiben,
die durch Migrationen ("Überfremdung") ohnedies in ihrer
"nationalen Identität" bedroht seien. Damit sich Völker
ihrem "wahren Wesen" gemäß entwickeln können, seien
sie getrennt in biologisch-kulturellen Einheiten zu belassen. Nur wenn sie so
in ihrer "Eigenart" leben können, können sie auch in eine
gesunde Konkurrenz miteinander treten, weshalb ein neuer "Befreiungsnationalismus"
(unter Anknüpfung an deutlich anti-amerikanische Ressentiments) und ein
"Aufstand der Ethnokulturen" not tue. Das Ergebnis heißt dann
"Ethnopluralismus" und beruft sich auf die identitätsstiftende
"Verwurzelung" des Menschen in seinem Volk. Dort finde jeder seinen
ihm zustehenden Platz innerhalb der "Gemeinschaft", die als
ganzheitliches Gefüge gedacht ist, wobei das Individuum im Dienste an
seinem Volk seine eigentliche Aufgabe finde. Ein bißchen
sozialdarwinistisch darf es dabei auch zugehen (wie sich ja auch Volk gegen
Volk zu behaupten habe, womit eine "natürliche völkische
Ordnung" zustandekomme). Die Führerschaft übernehme eine echte
Elite (hier gibt es bewußte Anklänge an präfaschistische Denker
der "Konservativen Revolution" der 20er-Jahre, dazu und zu deren
"Patron", dem Staatsrechtler Carl Schmitt: Jaschke 1992). Das
"Recht auf Differenz" wird reklamiert. "Natur" mit ihren
gegebenen Ungleichheiten bestimme die Geschichte mehr als etwa
gesellschaftliche Vereinbarungen gleicher Menschen. Gewissermaßen ist die
Neue Rechte eine "Revolte gegen die moderne Welt" (Greß 1993),
eine regressive Utopie, mit der sich "Sehnsüchte nach Geborgenheit
trefflich ausbeuten" lassen (Hethey 1980:180). 6. Verdichtung im
Rechtsextremismus bzw. Rechtspopulismus Rechtsextremismus kann als ein Syndrom
verstanden werden, in dem sich alle möglichen ideologischen
Versatzstücke verdichten. Kern ist ein übersteigerter Nationalismus,
wobei Nation völkisch verstanden wird. Eine soziobiologische Hierarchie
ergebe sich nach sozialdarwinistischem Denken, wobei Über- und
Unterordnung (in Nazi-Diktion: Herren- und Untermenschen) aus der prinzipiellen
Ungleichheit der Menschen resultiere, die somit zu einer Ungleichwertigkeit
stilisiert wird. Daraus leitet sich auch die Forderung nach Ungleichbehandlung,
also Bevorzugung der autochthonen Bevölkerung in rechtlicher, sozialer,
politischer sowie ökonomischer Hinsicht ab. Die Trennlinie zum
Rechtsradikalismus ergibt sich durch die Haltung zur Gewalt. Wird zur
Durchsetzung rechtsextremer Ziele Gewalt als legitimes Mittel akzeptiert (und
ja auch eingesetzt), so handle es sich um Rechtsradikalismus (vgl. Merten und
Otto 1993:19). Verschiedene empirische Erhebungen verweisen darauf, daß
zwischen 10-15% der deutschen Wahlbevölkerung ein rechtsextremes Weltbild
vertrete (vgl. Jäger 1994:89). Die Grenzen zu rechtskonservativen bzw.
rechtspopulistischen Einstellungen sind unscharf. Die etablierten
Rechtsparteien argumentieren nicht so krude mit einschlägigem Vokabular,
bleiben aber letztlich auf dem Terrain rechtsextremistischer Positionen.
Rechtspopulismus kristallisiert sich um eine Recht-und-0rdnung-Mentalität,
Ruf nach härteren Gesetzen und mehr Polizei oder Bürgerwehren,
Einforderung "deutscher Tugenden" wie Pünktlichkeit, Disziplin,
Fleiß etc.. Punitive Einstellung (z.B. auch Forderung nach
Einführung der Todesstrafe) und Verunsicherung bei jeglicher Devianz bzw.
Ruf nach Begradigung alles "Abweichenden" gehören ebenso zu
diesem Staatsgemütlichkeitsbild (wobei die sich damit einschleichende
Repression nur scheingemütlich ist). Abweichend sind vor allem
"Ausländer" (im weiteren aber auch [Links-]Intellektuelle,
Obdachlose, Stadtstreicher, Homosexuelle, politisch Andersdenkende,
Minderheiten und Behinderte: und diese werden ja auch zum Objekt
rechtsradikaler Attacken). Fremdenfeindlichkeit kondensiert in einem Anspruch
nach exklusiven Rechten der Eingeborenen entlang territorialer,
nationalstaatlicher Grenzen. "Deutschland den Deutschen! Die Türkei
den Türken!". Es sind Interessen der Besitzstandwahrung (zum obigen
Möller 1993:38ff.) Es handelt sich um eine sozial-kulturell und
ökonomisch motivierte Fremdenfeindlichkeit. Die Früchte des
Wohlstands sollen in erster Linie die Deutschen in der Bundesrepublik genießen.
Ausländer werden da zu "Absahnern", Asylbewerber zu
"Schmarotzern". Dieses Deutungsmuster wurde griffig als
"Wohlstands-Chauvinismus" markiert (Hennig 1992:36). Auffallend ist die
"Normalisierung" von Bestandteilen rechtsextremen Denkens (vgl.
Möller 1993:46f.). In der Asyldebatte war in rechten
Überholmanövern bis ins sozialdemokratische Lager von
"Asylmißbrauch", "Wirtschaftsflüchtlingen",
"Ausländerflut" etc. die Rede. Fremdenfeindlichkeit wurde
artikulierbar. Und durch Statements - die den gesellschaftlichen Tatsachen
völlig Hohn sprechen - wie "Deutschland ist kein
Einwanderungsland" (H. Kohl) in Stammtischkreisen beflügelt: vom
"Ausländer gehören nicht in unser Land" zum
"Ausländer raus!" sind nur wenige Schlucke Bier und
Denkstolperschritte nötig. Weiters erregt vor allem die Besorgnis der
Pädogogen die zunehmende "Verjüngung" des rechtsextremen
Potentials. Jugendliche im Alter von 16-21 Jahren zeigen - entgegen
andersweitigen Mutmaßungen - sowohl in (ehemals) Ost- wie Westberlin zu
bis zu einem knappen Drittel deutlich rechtsextreme Orientierungen,
insbesondere bei den Fragenkomplexen "Orientierung an nationaler
Größe", "Law-and-Order-Mentalität" und
"Verharmlosung der Verbrechen des Nationalsozialismus". Signifikante
Differenzen ergeben sich nach Schultyp, Geschlecht und Bildungsniveau der
Väter, nicht aber geographischer Natur (d.h. Wohnort; vgl. Oesterreich
1993). Bei den Erklärungsversuchen für
die eklatante Gewalt vor allem junger Männer gegen Ausländer
ließen sich und werden auch verschiedene Erklärungsmuster für
(ehemals) Ost- und Westdeutschland anbieten, generell lassen sich respektive
Theorien wie folgt ordnen: "Die soziale Erklärung verweist auf Armut,
Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit, berufliche Perspektivlosigkeit und deutet
jugendliche Gewalt als Antwort auf die klassische und/oder neue 'soziale Frage'
in den Städten. Sie legt die Annahme nahe, daß neue Formen
städtischer Armut möglicherweise neue Formen jugendlicher Gewalt
generieren. Die sozialräumliche Erklärung verweist auf
Polarisierungs-, Marginalisierungs- und Konzentrations- wie
Verdrängungsprozesse im Zusammenhang mit den disparaten Entwicklungen der
modernen Stadt als Lebens- und Wohnstatt, als Zentrum einer Region und als
World City und deutet Jugendgewalt als Antwort auf die destruktive Reorganisation
städtischer Räume. Die multikulturelle Erklärung betont die spezifischen
Problemlagen städtischer Jugendlicher aus Ausländerfamilien der 2.
und 3. Generation und begreift jugendliche Gewalt in dieser Teilgruppe als
rebellische Antwort, die sich gegen die überangepaßten Väter
ebenso wendet wie gegen die diskriminierende deutsche Stadtgesellschaft. Die entwicklungspsychologische und -soziologische Deutung verweist auf die rasant
gestiegenen Schwierigkeiten jugendlicher Identitätsfindung unter Bedingungen
sozialer Umbrüche, drohender Verarmung, Erosion normativer und kultureller
Orientierungen, kurz: auf die häßliche Gewalt des
Individualisierungsschubs und begreift jugendliche Gewalt in Gruppen als
Versuch, Männlichkeit, Körperlichkeit und Gemeinschaft zu
retten." (Freyberg 1992:77) Wie aus dieser Auflistung ersichtlich, ist
kein rechtsextremes Weltbild nötig, um Gewaltakte zu setzen. Dies stimmt
auch weitgehend für Gewalt gegen Ausländer, die nicht
rechtsideologisch motiviert sein muß, ja nur ein geringer Teil der
Anschläge gegen ausländische Mitbürger geht auf das Konto von
organisierten Rechtsextremen. Die Gewalt entwickelt sich "aus der Mitte
der Gesellschaft" (vgl. Merten und Otto 1993:25). Eine Analyse von
Täterprofilen kommt zu folgendem Schluß: "Neben politischen,
vor allem rechtsradikalen Motiven und rassistischen Ideologien und
Legitimationen von Gewalt spielen auch unpolitische (expressive) Gewaltmotive
und Actionorientierungen sowie Protestmotive eine wichtige Rolle. Nicht
gemeinsame ideologische oder politische Überzeugungen bilden die Klammer
zwischen den heterogenen Tätergruppen und Akteuren, sondern eher diffuse
Gefühle und Vorstellungen einer generellen Bedrohung und Benachteiligung
der Deutschen gegenüber den Ausländern, insbesondere gegenüber
den Asylbewerbern; eine Vorstellung, die sich vor allem an den staatlichen
Alimentierungen und Transferzahlungen festmacht, aber in Zeiten der
ökonomischen Rezension, der erhöhten Arbeitslosigkeit etc. sich
natürlich auch generell an der Angst vor Konkurrenz und vor drohendem
Statusverlust ansiedeln kann." (Willems 1993:103) Für die jüngste Welle der Gewalt
ist nicht zuletzt das offiziell-politische Meinungsklima mitverantwortlich.
"Nicht rechtsextreme Jugendliche und Parteien haben die Behauptung
erfunden, daß sogenannte Asylantenströme die Gesellschaft der
Bundesrepublik bedrohen und daß eine Eindämmung dieser Ströme
für das politische, soziale und ökonomische Überleben unserer
Gesellschaft unabdingbar ist. Vielmehr hat eine aus machtpolitischen
Gründen angeheizte Auseinandersetzung Asylsuchende
('Wirtschaftsflüchtlinge', 'Scheinasylanten') als Feindbild dargeboten
sowie alle wesentlichen Meinungen und Argumente vorformuliert, auf die
Jugendliche zur Begründung und Rechtfertigung ihrer Gewaltbereitschaft
zurückgreifen können." (Scherr 1993:326). D.h., daß die scapegoats durch die herrschende politische Debatte
konstruiert und dargeboten wurden. Nicht zuletzt dürften die Massenmedien
einen agent provocateur-Effekt
in mehrfacher Weise ausgeübt haben: Reports über brennende
Asylantenheime haben tatsächlich zu entsprechenden Nachahmungstaten
geführt, wie auch Jugendliche sich gegenseitig begeistert erzählten,
in welcher Nachrichtensendung oder Dokumentation sie am Vorabend zu sehen
waren. Dabei verhalten sie sich, wie es von ihnen erwartet wird: sie
reißen den rechten Arm hoch, tragen das ganze schreckliche Outfit von
Bomberjacken, Tätowierungen, Doc-Martens-Stiefeln bis zu Glatzen usw.
(vgl. Schröder 1992:37f.). Der "Neo-Nazi" wird somit medial
geschaffen wie auch mit der Botschaft versehen: seht euch diese pathologischen
Randgestalten an, wie sie tierisch brüllen und Randale und Radau machen!
Womit von der ganzen klammheimlichen Sympathie und der
"Normalität" rechtsnationaler Einstellungen bei ganz biederen
und mehrsinnigerweise nur zuschauenden Bürgern abgelenkt wird. Tabubruch,
Provokation4 und Suche nach "Kameradschaft"
sind gängige Motive für Zusammenrottungen Jugendlicher, die dann -
häufig nach dem sogenannten Koma-Saufen - "spontan" ihrer
Langeweile mit dem vermeintlichen Kitzel des
"Ausländer-Aufklatschens" zu entkommen suchen. Legitimatorische
Anleihen an nationalistischen, wohlfahrtschauvinistischen bis faschistischen
Denkfiguren sind oft wenig kohärent, wohl aber eines: simpel, binär
codiert in Freund/Feind bzw. gut/böse-Schema, antidemokratisch und
antipluralistisch. Woher kommt diese Regression in märchenhaft-einfache
Weltbilder und Peer-group-Heimeligkeiten? Im folgenden möchte ich kurz auf
die "Indvidualisierungsthese" rekurrieren, die soziologisch enorm
populär (und umstritten) für die Erklärung des Rufes nach mehr
Übersichtlichkeit und eindeutigen Weltanschauungen herhalten
muß. Die Individualisierungsthese wird in
erster Linie mit dem Namen Ulrich Beck (1986) in Verbindung gebracht und im
Rahmen der Erklärung von Rechtsextremismus und Gewalt in kritisch
adaptierter Form herangezogen (z.B. von Heitmeyer und Sander 1992 oder Willems
1993). Nach dieser These wird im Prozeß der Modernisierung der einzelne
aus traditionalen und kollektiven Lebenszusammenhängen freigesetzt, das
gilt vornehmlich für die Felder Familie, Nachbarschaften, Regionen, die
damit auch als Sozialisations- und Sanktionsinstanzen an Wirkkraft verlieren.
Konfessionelle oder ständische Lebensorientierungen sind weitgehend
aufgeweicht, traditionelle (Arbeits-) Milieus verdünnen sich, neue
Konkurrenzbeziehungen in Beruf und Freizeit führen zu Profilierungsdruck.
Über allem stehen Jugendliche unter dem Zwang sich selbst eine Biographie,
"Identität", Wertevorstellungen etc. zusammenzubasteln.
"Individualisierung bedeutet ..., daß die Biographie der Menschen
aus vorgegebenen Fixierungen herausgelöst, offen,
entscheidungsabhängig und als Aufgabe in das Handeln jedes einzelnen
gelegt wird. Die Anteile der prinzipiellen entscheidungsverschlossenen
Lebensmöglichkeiten nehmen ab, und die Anteile der entscheidungsoffenen,
selbst herzustellenden Biographie nehmen zu. ... Biographien werden 'selbstreflexiv'... In der
individualisierten Gesellschaft muß der einzelne entsprechend bei Strafe
seiner permanenten Benachteiligung lernen, sich selbst als Handlungszentrum,
als Planungsbüro in bezug auf seinen eigenen Lebenslauf, seine
Fähigkeiten, Orientierungen, Partnerschaften usw. zu begreifen."
(Beck 1986: 216 und 217). Dieser hohe Orientierungsbedarf und Anspruch an
aktives Handeln kann natürlich zum Scheitern führen, Gefühle der
Ohnmacht inmitten der "neuen Unübersichtlichkeit" (Habermas)
auslösen, und diese Verhaltensunsicherheit produziert bei manchen
"eine Anfälligkeit für einfache radikale Ideologien,
Zusammengehörigkeitsgefühle und Identifikationsmöglichkeiten,
z.B. auch solchen, die auf natürlichen Kriterien wie Rasse, Geschlecht
oder Nation beruhen und die deshalb stabilere Identitätserfahrungen
vermitteln können, weil sie nicht durch die Möglichkeit des
Andersseinkönnens verunsichert werden." (Willems 1993:105).5 Die Attraktion von Nationalismus und
Ethnizität (als des ersteren "Kleinform") als
Einbindungsmechanismen kann auch gesamtstrukturell und nicht nur subjektiv
gewendet, plausibel gemacht werden. Systemtheoretisch zeigt sich, daß
moderne Gesellschaften in viele Teilsysteme zerfallen, wobei zur Regelung der
Gesamtordnung der Gesellschaft und der Platzanweisung für den einzelnen
darin, keine innergesellschaftliche Instanz mehr ausgemacht werden kann.
"Ethnizität und Nationalität bilden also Brücken zur
Integration trotz struktureller Desintegration. Genau genommen hat Ethnizität kaum eine gesellschaftliche Funktion im Sinne eines
ausdifferenzierten Teilsystems wie etwa Wirtschaft, Recht, Familie und Politik.
Aus diesem Grunde ist die Nation auch kein gesellschaftliches Teilsystem, sondern ein
askriptives, auf einem kollektiven Wertkonsens beruhendes
Identitätsmerkmal, das in gewisser Hinsicht ein unerläßliches
Verbindungsstück zwischen den immer komplexer werdenden gesellschaftlichen
Prozessen und der notwendigen Sozialintegration von Personen schafft."
(Nassehi 1990:269). In diesem Sinne läßt sich vom Nationalismus auch
als von einer "Ersatzreligion" sprechen. Im übrigen ist eine gesellschaftliche
Integration durch eine allgemein geteilte Wertebasis im Rahmen der
Modernisierung und Säkularisierung längst defekt geworden.
Jüngere kultursoziologische Studien in Deutschland (die meisten für
ehemals West vor der Wiedervereinigung) zeigen, daß die deutsche
Gesellschaft entlang Alter und Ausbildungsniveau in verschiedene Milieus
zerfällt, die sich durch erhöhte Binnenkommunikation, eigene Codes,
Homogenisierung, freie Zugehörigkeitswahl etc. auszeichnen (dazu das
empirisch wie theoretisch aufwendige Werk von Schulze 1993, dessen Titel
"Erlebnisgesellschaft" inzwischen zum Schlagwort verkommen ist).
Schulze unterscheidet mit der Grenzmarke 35-45 Jahre und nach Bildungstyp unter
der jüngeren Kohorte ein hochgebildetes Selbstverwirklichungs- und ein
action-orientiertes Unterhaltungsmilieu, bei den Älteren ein sich der
Hochkultur-verschreibendes Niveaumilieu, sowie ein Integrations- und
Harmoniemilieu. Ich kann hier nicht auf die einzelnen Milieus oder Lebensstile
eingehen, möchte vielleicht nur noch eine andere bekannt gewordenene
Typologie des SINUS-Instituts erwähnen, nach der folgende soziale Milieus
unterschieden werden können: konservativ gehobenes Milieu (9%),
technokratisch-liberales (10%), alternatives (3%), kleinbürgerliches
(26%), aufstiegsorientiertes (24%), hedonistisches (10%), traditionelles
Arbeiter- (9%) und traditionsloses Arbeitermilieu (10%). In den
Lebensstilforschungen meist nicht erfaßt sind sozial Randständige,
die sich nicht "jenseits des Reiches der Notwendigkeit" (Bourdieu)
das Spiel mit Lebensstil und subkulturellen Ausdrucksformen leisten
können: Dazu gehören in der BRD Arme (geschätzte 11% der
Bevölkerung, arm = weniger als 50% des Durchschnittseinkommens
verfügbar), Langzeitarbeitslose (1990 waren in W-Deutschland 513 000
Menschen mehr als ein Jahr arbeitslos), Obdachlose (eine Million),
Stadtstreicher (etwa 100 000), ca 400.000 RentnerInnen mit Einkünften
unterhalb des Sozialhilfeniveaus. Dazu kommen Asylberwerber (1991 wurden 256
100 Anträge gestellt) und etwa drei Millionen ausländische Arbeiter
als neue Unterschicht (diese und die SINUS-Daten aus Hradil 1992:10f.). Hradil
geht auf die Pluralisierung der Lebensstile ("subjektive
Modernisierung") ein und bemerkt, daß im ehemaligen Ostdeutschland
ein Kopfsprung in eine Art von dort "neuer" Moderne gemacht werden
muß, der viele verunsichert. Was ich damit äußerst sparsam
andeuten möchte, ist, daß die deutsche sogenannte
Zwei-Drittel-Gesellschaft in vielfacher Hinsicht fragmentiert, und was
Lebenspraktiken und Wertespektrum betrifft alles andere als
"monokulturell" ist. Damit komme ich zum Paradigma des
Multikulturalismus, das ja meist ethnisch verstanden wird, womit man der Gefahr
einer klassischen Ethnisierung von sozialen Ungleichheiten
naturgemäß nicht entkommt. 7. Das Konzept
des Multikulturalismus Die Diskussion um die multikulturelle
Gesellschaft stammt aus den klassischen Einwanderungsländern (USA, Kanada,
Australien) und hat etwas verspätet auch Eingang in den Diskurs um
ImmigrantInnen in der Bundesrepublik gefunden (zur dortigen Theorieprogression
z.B. Berger 1990). Anfänglich standen Theorien der Assimilation im
Mittelpunkt, die ein völliges Aufgehen unter Abstandnahme und Aufgabe der
Herkunftskultur in das Einwanderungsland erwarteten und erforschten. Als sich eine
entsprechende Hoffnung und Forderung als illusionär erwies, wurde mit dem
Begriff "Integration" eine abgeschwächte Position formuliert,
die den Einwanderern die parteille Aufrechterhaltung ihrer Kultur und
Lebensform mindestens in den ersten zwei Generationen zugestand. Mit diversen
Parametern sollte erkundet werden, wie weit Einwanderer in die Gastgesellschaft
eingegliedert sind, wobei sich zeigt, daß dies nach
ökonomisch-arbeitsmarktpolitischen Aspekten relativ schnell und umfassend
geschieht. Die Grenzen des Integrationsmodells erwiesen sich darin, daß
Immigranten dezidiert "communities" oder ethnische Enklaven ausbilden (von
Ordnungspolitikern auch als "Ghettos" abgetan), die wenigstens in der
Anfangsphase eines Migrationsprozesses eine kleine "Heimat in der
Fremde" bilden und als Umschlagplatz für Informationen, Start- und
Lebenshilfe, als Netzwerk der Sicherheit und Orientierungsmarken eine
bedeutende und durchaus positive Rolle spielen. Die im Kulturkonfliktparadigma
postulierte "Anomie" durch Aufeinanderprallen verschiedener
Wertsysteme, scheint durch diese Gemeinschaften, die meist entlang ethnischer,
nationaler oder auch konfessioneller Linien organisiert werden, aufgefangen und
abgebogen worden zu sein. Blieb die erste Generation naturgemäß
weitgehend ihren Herkunftskulturen verhaftet (bei oftmaliger und
illusionärer Beibehaltung der Rückkehroption), so werden die im
Einwanderungsland Geborenen oft weitgehend "assimiliert" bei
gleichzeitiger Identitätsdiffusion. Die dritte Generation sollte nach den
Assimilationstheoretikern keine Spuren ihres Herkommens mehr zeigen. Dem
gegenläufig, entzünden sich aber gerade in dieser Friktionen durch
Rückbesinnung, "back-to-the-roots-Bewegung" und Neubewertung der
Großväterkultur. Hier soll die multikulturelle Gesellschaft Abhilfe
schaffen, indem sie in lebensweltlichen Kontexten verschiedene Kulturen
gleichwertig nebeneinander existieren und blühen lassen soll. Auch ohne
eine strenge Gültigkeit des Generationenabfolgeschemas begibt es sich,
daß nun Ethnizität mobilisiert wird, um vorenthaltene politische und
soziale Rechte einzufordern und sich selbstbewußt mit der
"Mehrheitskultur" auseinanderzusetzen. Minderheiten setzen positive
Autostereotype den diskriminierenden Zuschreibungen der
Majoritätsgesellschaft entgegen und rufen nach Anerkennung ihrer
spezifischen Kultur, Sprache und Lebenspraktiken. Im Verzerrungsfalle führt dies zu
einem Kulturrelativismus, dem durch überzogene Toleranz jeglicher
Maßstab abgeht. Es gibt Gesellschaften, die frei und solche die krank
machen. Der grundlegende Respekt vor einer anderen Kultur und die vorgängige
Annahme, daß diese einen positiven Beitrag leisten kann, sagt noch nichts
über deren "Wertigkeit" aus (diese muß sich im
vorurteilsfreien Eingehen aus sich selbst zeigen). Ein übleres Zerrbild
ergibt sich in einer "ethnopluralistischen Regression", die der
kulturellen Apartheid der Neuen Rechten gefährlich nahekommt (wobei hier
die Wertneutralität zuungunsten einer Hierarchisierung aufgegeben wird).
"Die Grenzen ethnischer Gruppen sind undurchlässig, und allein die
ethnische Rangordnung entscheidet über die Verteilung der sozialen
Chancen. ... Auch wenn die Rassen jetzt als Kulturen bezeichnet werden, bleiben
sie wie durch Sperrventile voneinander abgeschottet. Die sollen sich
möglichst nicht treffen und vermischen, um Überfremdung und
Artverlust zu vermeiden. Diese Ideologie ist keineswegs vormodern, sondern ein
Kopfprodukt der gescheiterten Moderne, die sich in den
Unübersichtlichkeiten der modernen Welt das Nächstliegende als
Unterscheidungskriterium sucht und daran verzweifelt festhält: am
Phänotyp des Fremden, der immer willkürlicher konstruiert und
definiert wird." (Leggewie 1993:XIf.). Leggewie führt in seinem
Multi-Kulti-Klassiker zwei weitere Modelle ein. Beim nächsten spricht er
von "universalistischer Assimilation" und verwendet somit gleich
einen verfänglichen Begriff, der zugleich verkennt, daß es im
republikanisch-egalitären Projekt nur um die Integration in die politische Kultur des Aufnahmelandes geht. Um sein
favorisiertes Modell konturieren zu können, karikiert der an sich von mir
sehr geschätzte Leggewie die republikanische Variante: "Differenzen
von Herkunft und Weltbildern werden nicht nur aus dem öffentlichen,
laizistischen Raum ferngehalten. Sie sollen in einem universalen Menschheitspathos
letztlich zum Verschwinden gebracht werden (sic!) ... Demos ohne Ethnos
gewissermaßen. ... Dieser in der Tradition der Französischen, also
der sozialen Revolution geborene Universalismus kann sich ethnische
Minderheiten nur noch als Relikte und Residuen vorstellen, die sich in
vergeblicher Defensive gegen den am Ende unwiderstehlichen Prozeß der
Entzauberung ihrer kommunitären Ideale und Hirngespinste stellen."
(Leggewie 1990:XII). Seine nächste
- und in ihrem utopischen Anarchismus durchaus sympathische Version - lautet:
"Die dritte, die Sache erst richtig treffende Variante des
Multikulturalismus ist die Gesellschaft ohne kulturelles Zentrum und ohne
hegemoniale Mehrheit. Dieser Aggregatszustand tritt ein, wenn das historische
Gerüst des europäischen Universalismus, der Nationalstaat als Denk-
und Handlungseinheit, nachgibt und transnationale Mobilität in einem
Maße stattfindet, daß die Weltgesellschaft von einer Abstraktion
zur alltäglich erfahrbaren Realität wird. Migrationen und
grenzüberschreitende Kommunikationen lassen die 'postmoderne' Vorstellung
der Dezentrierung Wirklichkeit werden." (Leggewie 1993:XIII). Den Absturz
in ein postmodernes Allerlei halte ich aber - im Sinne einer gesellschaftlichen
Integration - für genauso riskant wie Finkielkraut (1989). Ich
plädiere auf individueller Ebene auch für die Patchwork-Arbeit an
dem, was heute allgemein "Identität" genannt wird, glaube aber,
daß gesamtgesellschaftlich "Spielregeln für die
Vielvölkerrepublik" (so der Untertitel von Leggewie's Werk) gefunden
werden müssen, die nicht unter Preisgabe bestimmer Universalien
aufgestellt werden können - und dies ist besonders wichtig für eine
Abgrenzung zur "Neuen Rechten" und um zu vermeiden, daß
Multikulturalität nicht vom falschen Lager beansprucht und pervertiert
wird. Multikulturalismus ist in der Sozialisation moderner Individuen
längst Realität und da wie bei Eßkultur oder folkloristischen
Gepflogenheiten kaum problematisch. Einem (mißverstandenen)
Multikulti-Konzept ist aber noch eine andere prekäre Vorstellung
inhärent: durch ungebührliche Betonung von Ethnizität, Herkunft
und dgl. wird in deterministischer Verkennung der einzelne auf diese seine
Herkunft festgelegt, ein "Bekenntniszwang" eingefordert und "Kultur"
als einem Ethnos, einer Nation, Minorität etc. eigen betrachtet, was dem
Herder'schen Volksgeist gefährlich nahekommt. "Kultur" wird hier
zudem als eine zwar geschichtlich gewachsene, aber quasi geschlossene Entität
konzipiert, die dann in einen als fruchtbar gesehenen Austausch mit anderen
Kulturen tritt (als ob nicht alle heute bestehenden Kulturen nur in
ständiger Revision und akkulturativer Arbeit, im Zusammenströmen
vieler nicht "national" oder sonstwie festzulegender Elemente
entstanden wären). Ethnische Festschreibung kann eine Form von
selbstgeschaffener Unmündigkeit sein, aus der man/frau sich zu befreien
sucht. Wahre Multikulturalität geriert nur bei Distanzfindung auch zur
eigenen "Kultur". Zurecht steht die Frage am Ende des folgenden
Zitates: "Die gegenwärtige Auseinandersetzung mit dem Rechtsterror
hat zur Diskussion eines differentiellen und eines integralen Modells der
Zukunftsgesellschaft geführt. Gegenwärtig dominiert das
differentielle Modell. Man spricht von einer toleranten, 'multikulturellen
Gesellschaft'. Aber es gibt eine seltsame Gemeinsamkeit zwischen der Rechten
und den Befürwortern dieser gewiß wünschenswerten
Gesellschaftsform: Beide beharren auf der Kulturautonomie ethnischer Gruppen
und damit auf den Differenzen der Kulturen. Aber gibt es überhaupt in sich
geschlossene nationale, religiöse oder ethnische Kulturen?" (Hammel
1994:84). In dieselbe Kerbe schägt die folgende Bemerkung: "Nach
Auffassung dieses kulturalistischen Ansatzes setzt sich Gesellschaft aus
gleichgestellten, ethnischen Gruppen mit kohärenten, homogenen und
intakten Kulturen zusammen. Kultur wird dabei nicht als dynamischer
Prozeß von Gruppeninteraktionen mit der Gesellschaft gesehen, sondern
wird auf statische Formen wie Folklore, Tradition, Tracht und Küche
reduziert und trivialisiert." (Castles1990:56). Das Multikulti-Konzept
krankt auch sonst: "Dennoch
hält die These von einer zunehmenden multikulturellen Gesellschaft
ernsthafter empirischer Überprüfung kaum stand. Ihr begrifflicher
Fehler ist, daß sie die Frage ethnisch-kultureller Identität mit dem Problem ethnischer Lebensformen vermischt. ... Die Intensität
ethnischer Abgrenzung muß ... nicht mit dem Grad wirklicher kultureller
Differenzierung korrelieren. Wir finden - etwa - in Nordirland eine massive
Scheidelinie zwischen Bevölkerungsgruppen, hier nach dem Kriterium
'Religion', ohne daß sich die Alltagskultur beider Gruppen nennenswert
unterscheidet. Wir stellen dasselbe auch am baskischen und katalanischen
Nationalismus fest, die - von einer Renaissance der Sprachen und sporadischer
Traditionspflege abgesehen - im Alltagsleben kaum Unterschiede zu anderen
Volksgruppen im spanischen Staatsgebiet ausbilden. So fällt
auch am multiethnischen Zusammenleben in der BRD nicht die Vielfalt, sondern
die geringe Ausprägung kultureller Eigenwelten auf. Im organisierten
öffentlichen Leben haben sich ... die Arbeitseinwanderer den Normen und
Verhaltensmustern des Gesellschaftssystems weitgehend angeglichen. Auch
öffentlich sichtbare Unterschiede in der Alltagskultur - etwa in Kleidung,
Konsumverhalten, Geselligkeit und im Umgang mit Medien - betreffen eher
periphere Merkmale im sozialen Leben." (Berger 1990:134) Auch an den genannten Beispielen wird
deutlich, daß sich die wirklich destruktiven Konflikte nicht an
inkompatiblen Kulturen entzünden, sondern am Festhalten an ethnischen oder
nationalen Kriterien. Ethnizität wie Nationalismus sind - wie einleitend
gezeigt - phantasmagorische Konstrukte, an deren Produktion auch Wissenschaft
und Politik beteiligt sind. Menschen nach diesen Kritierien
auseinanderzudividieren und wahrzunehmen, gebiert die wirklich fatalen
Auseinandersetzungen (wieder: siehe Ex-Jugoslawien). Und so banal dies ist,
aber dies gilt für jede Selbstidentifikation mit einer Gruppe, auch in
bezug auf rassistisch motivierte Gewalttaten in Deutschland: "Es ergibt
sich demnach ein Unterschied, ob ich einen anderen Menschen aufgrund seiner
Gruppenzugehörigkeit ('Ausländer') oder seiner Personenhaftigkeit
('Ali Özkan') wahrnehme. Gleiches gilt für mich selbst: Die eigene
Definition als Gruppenmitglied bedeutet eine Deindividuation. Die Wahrnehmung
aufgrund der Kategorisierung nach Gruppenzugehörigkeit bedeutet daher
immer eine Depersonalisierung (was im Hinblick auf die nicht zur eigenen Gruppe
gehörenden Menschen zugleich die Vorstufe zu deren Dehumanisierung ist),
und mit dieser Anonymisierung steigt, empirisch nachgewiesenermaßen bei
Vorliegen bestimmter Eingangsbedingungen ... die Rate aggressiven
Verhaltens." (Klatetzki 1993:357). Kulturen sind nicht national oder ethnisch
eingrenzbar (was anschließend anhand des Konzeptes der
"Transkulturalität" demonstriert werden soll). Die
deterministische, homogenisierende Verbindung von Kultur mit Nation/Ethnos ist
ein Erbe des romantischen Nationenbegriffes, der im Multikulti-Konzept wieder
aufersteht und mehr Sprengstoff enthält, als Bindemittel zu sein. Es gilt
immer noch, sich an einem aufklärerischen, universalistischen Menschenbild
zu orienteren, das oberflächliche, primordiale, geburtszufällige
Herkunftskriterien transzendiert. Und in der Erziehung heißt dies,
"jedermann zu befähigen, seine Auswahl aus der Unmenge von
Überzeugungen, Ansichten, Gewohnheiten und Gemeinplätzen, die sein
Erbe bilden, zu treffen", Bildung heißt auch aus seiner begrenzten
Welt herauszukommen, also anders gesagt, autonome Subjekte mit Urteilskraft
heranzubilden (ich paraphrasiere hier Finkielkraut 1990:87f.) Dieser zitiert
auch einen schönen Satz von Gombrowicz: "Ist etwa ein Franzose, der
für nichts Augen hat als für Frankreich, mehr Franzose? Oder weniger
Franzose? Aber wirklich Franzose sein heißt doch gerade dies: etwas
anderes außer Frankreich sehen zu können." Und kommentierend:
"Frankreich läßt sich nicht auf das Franzosentum
beschränken, sein
Erbe setzt sich in der Hauptsache nicht aus unbewußten Determinationen
oder typischen und erblichen Lebensweisen zusammen, sondern aus Werten, die der
menschlichen Intelligenz offenstehen... Den Verfechtern der multikulturellen
Gesellschaft gelingt das, was die Doktrin 'der Erde und der Toten' nicht
geschafft hatte: damit der Andere sich selbst ungehindert entfalten kann,
begrenzen sie ihre Nation auf deren einzigartigen Geist, definieren sie
Frankreich (und im weiteren auch Europa) durch seine Kultur und nicht mehr durch den zentralen
Platz, den die Kultur
dort haben sollte ..." (Finkielkraut 1990:108f.). Wobei sich sein - ich
bin versucht zu sagen - Ressentiment gegen die 'postmoderne', eklektizistische,
unterschiedsberaubende Supermarkt-Einstellung wendet, nach der Bach,
Shakespeare, Rock'n Roll und Video-Clip je nach Lust und Laune wie mit einer
TV-Fernbedienung konsumiert werden. "Da multikulturell für sie gut
assortiert bedeutet,
schätzen sie nicht die Kulturen als solche, sondern deren
abgeschwächte Ausführung, den Teil dieser Kulturen, den sie
probieren, auskosten und nach Gebrauch wegwerfen können."
(Finkielkraut 1990:118) Was Finkielkraut insistent und zwischen den Zeilen
immer wieder einklagt, ist der Verlust universalistischer Prinizpien. Sein
Lamento und Unbehagen die Kultur betreffend, wurde ja anders akzentuiert schon
in den 60er Jahren artikuliert: "Wenn die Massenkommunikationsmittel
Kunst, Politik, Religion und Philosophie harmonisch und oft unmerklich mit
kommerziellen Mitteilungen vermischen, so bringen sie diese Kulturbereiche auf
ihren gemeinsamen Nenner - die Warenform. Die Musik der Seele ist auch die der
Verkaufstüchtigkeit. Der Tauschwert zählt, nicht der Wahrheitswert.
In ihm faßt sich die Rationalität des Status quo zusammen, und alle
andersartige Rationalität wird ihr unterworfen." (Marcuse 1985:77)
Kunst hat sich schon immer entfaltet mit einem widerständigen Stachel
gegen die Gesellschaft, der sie entstammt. Dieser wird ihr genommen durch
Einebnung und entsublimierenden Konsum als Wegwerfartikel. Hohe Kunst übersteigt
immer die kleine Welt, aus der sie
kommt, und der sie zu entkommen sucht. Nicht zuletzt spricht man von
Weltliteratur, weil - und er hat sich nachhaltig für diesen Begriff
eingesetzt - ein Goethe eben nicht den Deutschen, sondern der Menschheit
gehört - um wieder auf die kulturalistische Reduktion zurückzukommen.
Noch entscheidender stellt sich aber die
Frage nach "Universalien" im Zusammenleben verschiedener Kulturen.
Die Integration dieser kann nur im Rahmen einer prozeduralistischen
Rechtsauffassung geschehen. Wie der einzelne das definiert, was philosophisch
das gute oder nicht verfehlte Leben benannt wird, wird dabei nicht tangiert -
soll aber auch nicht vom Ganzen (Staat) her oktroyiert werden. Diesen Fragen
gegenüber verhält sich das moderne Recht neutral. Der demokratische
Prozeß gleichen subjektiven Rechtszuspruchs gewährleistet durchaus
die gleichberechtigte Koexistenz verschiedener ethnischer Gruppen und ihrer
kulturellen Lebensformen. Kulturen verlangen nicht die Unterstellung gleichen
Werts, wohl aber das Recht auf gleichen Respekt. Ein besonderer
"Artenschutz für bedrohte Kulturen" ist hierbei nicht
nötig. Kulturen werden tradiert und angeeignet nur, wenn sie ihre
Mitglieder zu ihrer Fortführung motivieren und entsprechend
überzeugen. "Rechtsstaatlich kann diese
hermeneutische Leistung der kulturellen Reproduktion von Lebenswelten nur ermöglicht werden. Eine Überlebensgarantie
müßte nämlich den Angehörigen genau die Freiheit des
Ja-und Neinsagens rauben, die heute für die Inbesitznahme und Bewahrung
eines kulturellen Erbes nötig ist. Unter den Bedingungen einer reflexiv
gewordenen Kultur können sich nur solche Traditionen und Lebensformen
erhalten, die ihre Angehörigen binden, obwohl sie sich ihrer kritischen
Prüfung aussetzen und den Nachwachsenden die Option belassen, von anderen Traditionen zu
lernen oder zu konvertieren und zu neuen Ufern aufzubrechen. ... In
multikulturellen Gesellschaften bedeutet die gleichberechtigte Koexistenz der
Lebensformen für jeden Bürger eine gesicherte Chance, ungekränkt
in einer kulturellen Herkunftswelt aufzuwachsen und seine Kinder darin
aufwachsen zu lassen, die Chance, sich mit dieser Kultur - wie mit jeder
anderen - auseinanderzusetzen, sie konventionell fortzusetzen oder sie zu
transformieren, auch die Chance, sich von ihren Imperativen gleichgültig
abzuwenden oder selbstkritisch loszusagen, um fortan mit dem Stachel eines
bewußt vollzogenen Traditionsbruchs oder gar gepaltener Identität zu
leben." (Habermas 1993:174f.) Das bedeutet zweierlei: Weder werden die
Angehörigen der "Mehrheitskultur" in einem
hinterweltlich-metaphysisch-volksgeistigen Sinne auf ihre Kultur festgelegt,
noch Minoritätenangehörige auf ihre Herkunftskultur fixiert, wie dies
in einem verordneten Multikulturalismus geschieht, der die Kultur und
Lebensformen der Immigranten als Bereicherungselement für das Gastland
instrumentalisiert - und gerade Migration bietet die einmalige Chance, sich von
Ligaturen und kulturellen Zwängen zu befreien und mit vermehrten Optionen
zu leben. Gegenseitigem Lernen, Sich-in-Frage-Stellen-lassen, Adaptieren und
Revidieren sind keine Grenzen gesetzt durch die Zugehörigkeit zu einer
bestimmten Kultur, deren Aufgabe aber ebensowenig eingefordert wird. Es gilt,
die Ebene der politischen Kultur und die der Ethik eines guten Lebens
auseinanderzuhalten. "Die Identität des politischen Gemeinwesens, die
auch durch Immigration nicht angetastet werden darf, hängt primär an
den in der politischen Kultur verankerten Rechtsprinzipien und nicht an einer besonderen ethnisch-kulturellen Lebensform im ganzen. Demnach muß
von Einwanderen die Bereitschaft erwartet werden, daß sie sich auf die
politische Kultur ihrer neuen Heimat einlassen, ohne deshalb die kulturelle
Lebensform ihrer Heimat aufgeben zu müssen. Die geforderte politische
Akkulturation erstreckt
sich nicht auf das Ganze ihrer Sozialisation. Vielmehr können Einwanderer
mit einer importierten neuen Lebensform jene Perspektiven erweitern oder
vervielfältigen, aus denen die gemeinsame politische Verfassung allerdings
interpretiert werden muß." (Habermas 1992:658f.). Das heißt,
daß für Fundamentalismen, die die Würde des Menschen verletzen
und die dem Menschen als Menschen zukommende Freiheiten der Rede, Religion,
Versammlung etc. einschränken, also fundamentale Menschenrechte tangieren,
kein Platz ist. "Der Geist der europäischen Neuzeit ... findet sich
sehr gut mit der Existenz von nationalen oder religiösen Minderheiten ab,
unter der Bedingung, daß sich diese nach dem Vorbild der Nation aus
gleichen und freien Einzelpersonen zusammensetzen. Eine solche Forderung hat
zur Folge, daß alle Bräuche, die die Grundrechte der Person
verhöhnen - auch die, deren Wurzeln weit in die Geschichte
zurückreichen - als ungesetzlich erachtet werden." (Finkielkraut
1990:114) Hier von Eurozentrismus zu sprechen, verwechselt den Gehalt mit der Herkunft der allgemeinen Menschenrechtsidee. Die
"Unantastbarkeit der Würde des Menschen" ist transkulturell. Nationalismen, Rassismen und
Fundamentalismen sind Versuche, hinter die Moderne zurückzuschreiten und
in Partikularismen von "Wir-Phantasmagorien" die Anstrengungen eines
Zusammenlebens in einer pluralistischen, offenen Gesellschaft, die verschiedene
Lebensformen und -stile zuläßt, zu umgehen, sind Versuche, eine
Zwangsgemeinschaft aufzurichten, die schwer erkämpfte Freiheiten für
obsolet erklärt. Die grundlegende Achtung des anderen läßt
diesem aber auch die Freiheit, seine kulturelle Herkunft zu bejahen - solange
sie nicht verabsolutiert wird. "Die universelle Orientierung der Politik
kann jedoch nicht bedeuten, daß die kulturellen Besonderheiten einer
repressiven oder ignorierenden Toleranz geopfert und zu Lasten des Individuums
öffentlich zum Verschwinden gebracht würden. Ethnizität als
'sense of identity' ist offenbar unhintergehbar, aber kein Wert an sich. So gilt
es im Sinne einer Pluralisierung von Lebenswelten für alle Individuen die
Möglichkeit zu schaffen, ihre Ethnizität als Lebensform und
Lebensstil selbst zu wählen, gegen die Bevormundung durch andere Gruppen
zu schützen und gegen Nivellierung zu behaupten." (Dittrich und
Radtke 1990a:36) Damit wird auch klar, um was es geht: um Akzeptanz ethnischer
Spezifika, Vielfalt bei rechtlicher Gleichheit. Die Anerkennung des Andersseins
gebiert die Achtung vor dem anderen, nicht die aneignende Verleugnung. Die
Einbindung geschieht in das politische Gemeinwesen. Das gegenseitige
Zugeständnis gleicher Rechte und Freiheiten ermöglicht die Koexistenz
verschiedener Lebensstile - seien die nun ethnisch, generationsspezifisch oder
von divergierenden Werten imprägniert. Gegenüber den Immigranten fehlt
allerdings immer noch staatlicher Schutz: es fehlt die rechtliche Integration,
solange, als die Grenze zu den Nicht-Deutschen immer noch nach
Abstammungskriterien gezogen wird - und solange wird es auch mit einem
eingeforderten "Verfassungspatriotismus" (der etwas unglückliche
Ausdruck des Politikwissenschaftlers Sternberger wurde vor allem durch Habermas
popularisiert) schwierig, weil in dieser nach nationalen Kriterien Trennungen
passieren, die nur durch eine erleichterte Einbürgerung oder doppelte
Staatsbürgerschaft aufhebbar sind. Es fehlt zudem eine aktive
Antidiskriminierungspolitik, die nicht nur gesetzlich, sondern soweit im
Alltagsbewußtsein verankert wäre, daß
nationalistisch-rassistische Anwürfe schlechthin zum "schlechten
Ton" gehörten und mit Zivilcourage begegnet würden. Grundlage
dessen bleibt eine nicht-ethnisch definierte Nation autonomer Subjekte. 8.
Transkulturalität "Das traditionelle Kulturkonzept ist
unfähig, den aktuellen binnenkulturellen Differenzierungen gerecht zu
werden, etwa den Unterschieden von regional, sozial und funktional
divergierenden Kulturen, von hoher und niedriger, leitender und alternativer
Kultur - von den Besonderheiten einer wissenschaftlichen, technischen,
künstlerischen oder religiösen Kultur ganz zu schweigen."
(Welsch 1995:39). Diese Prämisse für den Begriff der
Transkulturalität wendet sich insbesondere gegen einen völkischen,
ethnisch fundierten, homogenisierenden und nach außen abgrenzenden
Kulturbegriff, wie er seit der Romantik immer wieder gepflegt und gehegt wurde,
wobei Kultur seit dem 17. Jahrhundert ein Generalbegriff für
sämtliche menschliche Lebensäußerungen geworden ist. Sowohl im
Begriff der Interkulturalität wie Multikulturalität versteckt sich immer
noch die Annahme, Kulturen seien quasi Monaden, durch deren Fenster Frischluft
von anderen Kuturen hereingelassen werden könne, die aber letztlich
insular, abgegrenzt und mit zu überwindenden Schranken versehen seien.
Hierbei werden alte Kulturfundamentalismen weitergeschleppt und fixiert, die
längst obsolet sind. Neue Vernetzungsstrukturen als Folge weltweiter
Migrationen, ökonomischer Ströme, der Verkehrsausweitung, von
Datennetzen und anderen Kommunikationssystemen zu erwähnen, nimmt sich
schon als Allgemeinplatz aus. "Anstelle der separierten Einzelkulturen von
einst ist eine interdependente Globalkultur entstanden , die sämtliche
Nationalkulturen verbindet und bis in Einzelheiten hinein durchdringt."
(Welsch 1995:42f.). Das heißt aber nicht, daß Unterschiede in
irgendeiner uniformen Weltzivilisation ausgelöscht würden, nur
ergeben sich die Differenzen nicht mehr nach geographischen oder nationalen
Vorgaben, sondern entlang kultureller Austauschprozesse. Kulturbegriffe sind
operativer Natur: definiere ich Kultur entlang nationaler Grenzen und
plädiere für Abschottungen und Reinheitszwänge, kann eine
dementsprechende "Kultur" auch geschaffen werden. Wird man sich der
multikulturellen Verfaßtheit "nationaler" Kulturen bewußt
und weiß um den historisch seit jeher geschehenen Einbezug des Fremden,
sind auch kommende Integrationsleistungen selbstverständlich und
müssen nicht mit moralischen Imperativen Richtung Akzeptanz, Toleranz etc.
eingefordert werden. Die geschaffene "Realität" von Kultur ist
somit immer auch Folge des Kulturkonzeptes, das favorisiert wird. Besonders
z.B. wissenschaftliche, religiöse und in ausgezeichneter Weise
literarische "Kulturen" gehen längst quer durch nationale
Verfaßtheiten und sind per se transkulturell angelegt. Moderne
Gesellschaften sind kulturelle Mischlinge, wobei divergierende Lebensstile und
-modelle nicht (nur) entlang "ethnischer" Linien ausgebildet werden.
"Das Konzept der Transkulturalität entwirft ein anderes Bild vom
Verhältnis der Kulturen. Nicht eines der Isolierung und des Konflikts,
sondern eines der Verflechtung, Durchmischung und Gemeinsamkeit. Es
befördert nicht Separierung, sondern Verstehen und Interaktion.
Gewiß enthält dieses Konzept Zumutungen gegenüber
liebgewonnenen Gewohnheiten - wie die heutige Wirklichkeit
überhaupt." (Welsch 1995:44). Transkulturalität als kulturüberschreitende
und transzendierende Komponente zeigt sich in der Literatur in vermehrter Weise
-, um von der Musik mal ganz zu schweigen. Autoren - um nur wenige Namen zu
nennen - wie Milan Kundera (ein Tscheche, der jüngst auch auf
Französisch schreibt), Hanif Kureishi, Said (ein Iraner, der auf Deutsch
Gedichte verfaßt), José F. A. Oliver (ein in Deutsch
publizierender Spanier), Salman Rushdie, dessen Werke vor allem kulturell
bedingte Identitätskonflikte beschreiben, Tahar Ben Jelloun (in Marokko
gebürtiger Träger des Prix Goncourt, des bedeutendsten
Literaturpreises Frankreichs) und viele mehr, sind keiner Nationalsprache oder
- kultur mehr zuzuordnen. Schriftsteller der ganzen Welt orientieren sich an
Literaturen, die nicht an ihre Heimat gebunden sind, so auch der jüngste
Nobelpreisträger Oe Kenzaburô, dessen Liebe zu irischen und
französischen Texten bekannt ist. Kinder in Japan, Deutschland, USA oder
wo immer lesen Dostojewski, Charles Bukowski, Thomas Mann, Mishima Yukio, Knut
Hamsun, Pablo Neruda, James Joyce oder Marcel Proust und können aus
verschiedensten Lebensansichten lernen und sich ihr Weltbild konturieren. Die
im vorigen Satz angebotene Auswahl ist arbiträr und einseitig, da nicht
vergessen werden darf, daß der Marktwert einer Literatursprache von der
ökonomischen und politischen Potenz der jeweiligen Nationalität
abhängt, und es z.B. für einen indonesischen oder afrikanischen Autor
unglaublich schwieriger ist, weltweite Anerkennung zu finden, als für
einen amerikanischen. Und wenn in Deutschland von Multikulti die Fama geht,
dann wäre es an der Zeit z.B. türkische Autoren zu übersetzen,
zu vermarkten und in den Schulen zu behandeln. Hier ist Deutschland verglichen
mit Frankreich noch weit im Hintertreffen, findet man in einer Pariser
Buchhandlung doch eine breite Auswahl hochkarätiger arabischer
Übersetzungsliteratur von arabischen Philosophen, Schriftstellern und
Denkern. Döner Kebab essen ist zwar schmackhaft und gut verdaulich (auch
im Sinne von unproblematisch), gebiert aber keine wahre Multikulturalität
(wenn man an diesem Begriff festhalten will). Die beginnt erst in der
Auseinandersetzung mit "fremden" Weltbildern, Denksystemen und
gegenseitigen Befruchtungen auf geistiger Ebene. Daß diese seit
Jahrhunderten geschehen sind, gilt es zu sehen. So verdankt sich das, was heute
als Kultur Europa's hochstilisiert wird eben nicht nur einer
judäo-christlichen oder griechischen Philosophie, sondern genausogut
vorderasiatischen (man denke an den Hellenismus) wie z.B. ägyptischen
(viele griechische Philosophen habe sich Autorität dadurch zusprechen
lassen, daß sie in ägyptische Mysterien eingeweiht wurden) als auch
islamischen Elementen. Gerade aufgrund der Fundamentalismusdiskussion und der
Post-Kalte-Krieg-Situation, in der ein neues Feindbild gesucht und im Islam
gefunden wurde, wird hier einiges verdunkelt und verzerrt. Ohne die Vermittlung
der Mauren (und damit des Islam) wäre in Europa etwa nur die
"Logik" des Aristoteles bekannt, dessen andere Schriften über
das Arabische im 12. Jahrhundert in den mitteleuropäischen Raum vermittelt
wurden. Medizin, Astronomie, Mathematik sind in entscheidender Weise von den
Arabern weitergebracht worden und eine hochmittelalterliche Scholastik
wäre ohne deren Vermittlungsrolle nicht denkbar. Auch waren die meisten
sephardischen Juden des 13. Jahrhunderts des Arabischen mächtig und
Kabbala und Alchemie (letztere als Vorläuferin der naturwissenchaftlichen
Chemie) wären ohne diese nicht entstanden. Die Beispiele für
Akkulturations-, Akkomodationsprozesse, kulturelle Überlagerungen und
Zwischenlagerungen könnten für jedes Land beliebig ausgedehnt werden,
hier mögen diese Fingerzeige genügen, um zu demonstrieren, daß
heutige Kulturen alles andere als monokulturell oder rein sind und seit jeher
dank Austauschbewegungen geboren und erneuert worden sind.
Transkulturalität bedeutet, dieses Faktum bewußt zu halten und
kommende Lernprozesse zu begrüßen, wiewohl dies anstrengender ist,
als sich auf die Einfalt der eigenen Herkunftskultur zurückzuziehen und
einen stagnierenden Denksumpf zu konstruieren, aus dem man sich dann am Schopf
einer anderen, ebenso statisch konzipierten Kultur, herausziehen will (= Karikatur
des Multikulturalismus). Moderne Gesellschaften sind so verfaßt,
daß sich die heranwachsenden Generationen im Rahmen des
Individualisierungsschubes und der kommunikativen Möglichkeiten ihr
Weltbild und Wertesystem selbst erarbeiten müssen - Umkehr in romantische
Nationalismen oder religiöse Fundamentalismen sind regressive Schritte in
eine rückwärtsgewandt-utopische Welt, die nicht mehr existiert. Sie
zwängen zudem den in einer bestimmten Gesellschaft und Kultur lebenden
Menschen, sich mit dieser zu identifizieren, auch wenn dies persönlich als
einengend und erstickend empfunden wird. Eine transkulturelle Identität
(dazu gehört auch ein universalistisches, aufklärerisches,
humanistisches Menschenbild) bietet geradezu ein Refugium, um vereinnahmenden
kulturellen Determinismen zu entkommen und eine (wenngleich anstrengende)
Freiheit zu gewinnen. In dieser sind ethnische oder nationale Kriterien
nachrangig, wahrnehmungsverengend und bedeutungsarm. Schließen
möchte ich mit einer wunderbaren Passage von Hugo von Sankt Viktor, einem
Augustiner Chorherr des 12. Jahrhunderts, der Mystik und Scholastik nachhaltig
geprägt hat: "It
is therefore, a source of great virtue for the practiced mind to learn, bit by
bit, first to change about in visible and transitory things, so that afterwards
it may be able to leave them behind altogether. The person who finds his
homeland sweet is still a tender beginner; he to whom every soil is as his
native one is already strong; but he is perfect to whom the entire world is a
foreign place. The tender soul has fixed his love on one spot in the world; the
strong person has extended his love to all places; the perfect man has
extinguished his." (zit. in Said 1993:335) Sollte dies zu
"mystisch" oder literarisch anmuten, so kann eine moderne
"Übersetzung" der Essenz dieses Aperçus im Kommentar von
Said gefunden werden - auch dies ein mehr als würdiges Schlußwort,
das meine Intentionen in bester Weise zusammenfaßt. Und ich glaube, mich
keiner Überinterpretation schuldig zu machen, wenn ich meine, daß
vorliegendes Werk als Manifest für Transkulturalität gelesen werden
darf; zu seinem Ausklang heißt es: "No
one today is purely one
thing. Labels like Indian, or woman, or Muslim or American are not more than
starting-points, which if followed into actual experience for only a moment are
quickly left behind. Imperialism consolidated the mixture of cultures and
identities on a global scale. But its worst and most paradoxical gift was to
allow people to believe that they were only, mainly, exclusively, white, or
Black, or Western, or Oriental. Yet just as human beings make their own
history, they also make their cultures and ethnic identities. No one can deny
the persisting continuities of long traditions, sustained habitations, national
languages, and cultural geographies, but there seems no reason except fear and
prejudice to keep insisting on their separation and distinctiveness, as if that
was all human life was about. Survival in fact is about connections between
things; in Eliot's phrase, reality cannot be deprived of the 'other echoes [that] inhabit the
garden.' It is more rewarding - and more difficult - to think concretely and
sympathetically, contrapuntally, about others than only about 'us'. But this
also means not trying to rule others, not trying to classify them or put them
in hierarchies, above all, not constantly reiterating how 'our' culture or
country is number one (or not number one, for the matter). For the intellectuals
there is quite enough of value to do without that." (Said 1993:336)
Und hoffentlich nicht nur für die Intellektuellen! Literatur: Anderson,
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University of Tokushima, vol III (Feb. 1996), 143-177 1 Das gilt hinfort bei allen Zitaten, wenn
nicht anders vermerkt. 2 Dazu muß vermerkt werden, daß
im franko- bzw. anglophonen Raum der jeweilige Ausdruck race wesentlich unbefangener Verwendung
findet, während im deutschen Sprachraum aufgrund der Rassenideologie der
Nazi-Zeit das Wort "Rasse" lange mit einem Tabu behaftet war. 3 Und den gibt es auch in Japan, mindestens
seit der Revision des Einreisegesetzes 1990, nach der
"japanischstämmigen" ehemaligen Emigranten in
südamerikanische Staaten, sogenannten Nikkeijin, durchaus entlang von
"Blutlinie" ein Sonderstatus als teijûsha ("Residenten") eingeräumt
wird, der sie als einzige zu (auch manueller) Migrationsarbeit berechtigt (eine
Sachlage, die von Yoshino 1992 schlichtweg übergangen wird, vgl. Herbert
1993:92ff.). 4 Neo-Nazi-Outfit kann durchaus eine
"modische Maskerade" sein, die als expressiver Stil der Opposition
gegen die Erwachsenengesellschaft (und häufig Ex-68er-Lehrerwelt) dient.
Nazi-Symbolik wird zur letzten Ressource eines garantierten Tabubruchs.
Verweigerung der Kommunikation und Ausgrenzung dieser "provokativen
Neo-Nazis" drängt diese nur ins gesellschaftliche Out und treibt sie
in die Hände ideologisch fixierter "Mini-Führergestalten".
Die Gewaltwelle allerdings als "Jugendrevolte von rechts" (Katharina
Rutschky) zu bezeichnen, halte ich für eine Verharmlosung. Vor allem
Fremdenfeindlichkeit ist ein generationsübergreifendes,
gesamtgesellschaftliches und politisches Problem. 5 Seit Merton
(1979) wissen wir, daß Anomietheorien mehrgleisig sind: auf anomische
Situationen kann auf verschiedene Weise reagiert werden. Die
Individualisierungsthese kann daher nicht eingleisig erklären, warum nicht
alle "Modernisierungsverlierer"
mit Gewalt und Fremdenhaß auf ihre existentielle Verunsicherung
antworten. Als Erklärungsversuch der Genese von Neo-Nazi-Gruppen kann sie
daher nur als eine
Variable veranschlagt werden. Dennoch bleibt sie, was die Attraktivität
der Flucht in "Komplexität reduzierende", einfach gestrickte
Weltdeutungsmuster betrifft, beachtenswert.
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