Wolfgang Herbert


Fifty-fifty


Mit fünfzehn war fünfzig eine geradezu monströse Zahl, als Alter gleichbedeutend mit einem Fuß in der Gruft. Mit fünfzig ist das die Hälfte von hundert und als Alter gerade recht. Klar kracht es ein wenig im Gebälk, aber Libido und Lebenslust sind mitnichten erschöpft und man ist mit den meisten Wassern gewaschen und hat einige Kaps der guten und einige der enttäuschten Hoffnung umfahren.

Es ist unversehens Herbst geworden. Ein milderes Licht fällt auf die Dinge dieser Welt. Licht werden Haupt und Bäume, aber auch bunter und konturenschärfer. Falten und Furchen zieren das Antlitz und erzählen von der Liebe, von Verlusten, vom Lachen und von Tränen, vom Kommen und Gehen des Glücks, vom Wellengang.

Indessen ist da immer noch dieser unbändige, unbezähmbare Übermut, noch so viele unbefahrene Meere und unbetretene Kontinente, und man will sie alle noch entdecken. Wendehälsisch kann ich mich drehen und mich fühlen wie dreißig, voll anarchischer Energie und umstürzlerischem Subversionsdrang oder ich wechsle die Richtung und blicke auf die siebzig, bin gesetzt und gelassen, müde ein wenig, weltmüde gar, gebresthaft und angefressen von den Schneidezähnen des Kronos. (Jenseits der) Mitte des Lebens? Anarchisch sein mit dreißig ist (für mich jedenfalls) selbstverständlich, lebenssatt sein mit siebzig ist ein biblisch wünschenswerter Zustand: und nach beidem schmeckt mir das Fünfzigsein. Ich kann die Gezähltheit der Tage nicht mehr mißachten, aber ebensowenig die noch immer brodelnde Welteroberungslust wegsperren. Ein höchst paradoxes Alter – die fünfzig. Janusköpfig. Vielleicht zeichnet das die fünfzig aus: gleichzeitig auf der Zeitachse in beide Richtungen äugen zu können. Womöglich hat der falsche Fuffziger damit zu tun – da er nicht weiß, ob er jung oder alt sein will – und dabei vielleicht nur die eigentliche Alterslosigkeit seines Wesens nicht erkennt und übersieht.

Alterslos – ja, so fühle ich mich immer wieder, momenthaft, irgendetwas Altersloses, Zeitloses, Ungeborenes, Unwandelbares, Unzerstörbares ist da in mir, blitzt in Haiku-Augenblicken auf, im Flügelschlag des Sperlings, in diesen abendsonnendurchschienenen Schwingen, atemzuglang flatternd, husch, entschwunden, aber ein Loch in der Zeit hinterlassend, ein Guckloch in die Unendlichkeit. Käuzchenschrei und Granatapfelglanz im Mondenschein, der Schatten des Wanderfalken, Heimchengezirp im Herbst und Frösche, die in Teiche springen – blitzehelle Spritzer im Fluss der Zeit


Fünfzig Jahre – nicht einmal ein Furz angesichts des Universums

Fünfzig, na und?


Erschienen in: Peter Herbert a portrait in music. Programm Jazztage 2010, Hg. v. Bludenz Kultur gGmbH 2010, 32-33