05/2011

Wolf Herbert – ein Gangster mit Edelmut!


Die Postings zum Artikel sind teilweise wild und auf subterranem Niveau, ich bin bestürzt darüber, wie einen die Leute abkanzeln und anpinkeln, obwohl sie weder mich noch meine Arbeit kennen und wie schnell sie sich ein Urteil herausnehmen ... und mir extreme Etikette anhängen, da bin ich nun gewissermaßen ein gekaufter, faschistischer Kriminellensympathisant und Preisredner für die Yakuza ... dass der Text dermaßen missinterpretiert wird, nur weil ich mich nicht moralisch indigniert zeige und in jeder Spalte mal einfüge, was für böse Kerls die Yakuza eigentlich sonst sind, habe ich beileibe nicht erwartet. Ich habe einen Bericht über eine Facette der Yakuza abgeliefert, über ihr menschliches Antlitz. Aber sei es drum, ich bin für eine Provokation immer gut ... nun würde es mich zu sehr nerven, jedes gegen mich vorgebrachte Argument auseinander zu pflücken und ihm zu entgegnen, was ich freilich könnte, aber sehr viel Raum und vor allem einen Grad der Differenzierung verlangte, den ich bei den Postings vermisse. Da wird ja alles durcheinander geschmissen, ad hominem diffamiert und alles besser gewusst ... aber ich habe gelernt, dass ich in Zukunft die Bereiche, wo ich bei den Yakuza auf Distanz gehe, mitliefern muss. Und dass die Prise Ironie, die im letzten Satz ("Im Notfall ist auf die Yakuza Verlass!") steckt, überhaupt nicht angekommen ist. Aufgrund meiner Bekanntschaft mit Yakuza kann begründeterweise sagen, dass sie eine echte Hilfsbereitschaft verspüren und ihnen nicht zu unterstellen sei, alles sei nur PR und Eigennutz. Das wiederum macht mich jedoch nicht gleich zum Apologeten und Apostel der Organisierten Kriminalität ... wer den Yakuza unterstellt, sie würden alles nur aus Berechnung machen, raubt ihnen jede Menschlichkeit ... es sind zu viele krause Vorstellungen über die Unterwelt im Umlauf, notabene in den Köpfen der Leute, die sich nie dort umgetrieben haben und Unterweltlern wirklich begegnet sind - und zwar von Mensch zu Mensch. Was natürlich keine kriminellen Akte legitimiert – offenbar muss ich das betonen.

Selbst in der deutschsprachigen Wikipedia wird der hartnäckige Mafia-Gegner und Verfolger Giovanni Falcone unter dem Stichwort “Cosa Nostra” in bezug auf organisierte Kriminelle zitiert mit: „Ehrenmänner sind weder Teufel noch Wahnsinnige. Es stimmt nicht, dass sie für ein Gramm Kokain ihren Vater oder ihre Mutter umbringen würden. Sie sind Menschen wie wir...Wir müssen anerkennen, dass sie uns ähnlich sind.“ Der Untersuchungsrichter Falcone ist von der Mafia umgebracht worden. Morde an Juristen oder Polizisten sind in Japan extrem selten, von seiten der Yakuza ausgeführte kaum je geschehen. Das Verhältnis zur Staatsgewalt ist ein ganz anderes als das der mafiosen Organisationen in Italien, weshalb sich vorschnelle Vergleiche verbieten. Das gilt insbesondere in bezug auf die russische “Mafia”, die in einem Staatsgewaltvakuum und in einem aus den Fugen gelaufenen Marktwirtschaftschaos operieren, deren (obere) Mitglieder aus eben der Mitte der ehemaligen “Staatsgewalt” stammen (KGB, Bürokraten, Technokraten, Sportler, Soldateska etc.). Die seit Jahrhunderten in der japanischen Randgesellschaft “tolerierten” und von der Politik und Ökonomie – wenn opportun – mobilisierten Yakuza haben einen völlig anderen Hintergrund.

Wer wissen will, auf welche Weise die Yakuza von den Mächtigen kooptiert und benutzt (und wieder fallen gelassen) werden, welche Scheinmoral dahintersteckt und wie Gut und Böse mit legal/illegal wenig zu tun haben und in verschiedener Gewichtung wohl in allen gesellschaftlichen Bereichen zuhause sind, der möge die nichts beschönigende Autobiographie von Miyazaki Manabu lesen: “Toppamono. Outlaw. Radical. Suspect. My Life in Japan’s Underworld. Tokyo: Kotan Publ. 2005.

Die gesellschaftliche Dynamik, die dazu führt, dass es die Yakuza überhaupt gibt, verlangt eine umfängliche Analyse, die ich in einem Zeitungsartikel, der zudem thematisch anders gelagert ist, nicht bieten kann ... und die ist nur zu leisten, wenn Diskriminierung als Ganze - in Japan: gegen ethnische Minderheiten, historisch bedingte "Parias" (Burakumin), aber auch gegen jugendliche Delinquente, Schulabbrecher, Aussteiger und Vorbestrafte, denen keinerlei reguläre soziale Chancen geboten werden - in den Blick genommen wird. ...  Schreibe ja an einem neuen Buch über die Yakuza und werde diese Dinge aufgreifen und darzulegen versuchen. 

Das Verbrechen ist nach Émile Durkheim eine soziale Tatsache und als solche habe ich es beschrieben, nirgendwo hingegen gelobt oder gutgeheißen. Man möge auch auf meinen nuancierten Konjunktiv im Text achten. Da liegt der Kern der Verwechslung: zu versuchen, ein soziales Phänomen wie die Yakuza zu verstehen und zwar aus der Lebenswelt und Sicht der Akteure heraus, heißt mitnichten alles zu billigen. Das Verbrechen, wieder paraphrasiere ich Durkheim, hat eine Funktion: nicht zuletzt die, über dessen Sanktion der Gesellschaft zu demonstrieren, was als Norm und Moral zu gelten habe. Aufgrund dieser funktionalen Auffassung wurde ihm übrigens ebenfalls vorgeworfen, er verteidige das Verbrechen - was in seinem Falle so absurd ist, wie in meinem. Einige Postings haben jedoch nicht nur mit ihrem überheblichen Ton bestens vorgeführt, wie sich Leute durch Verdammung anderer (der Yakuza und des Autors) ihrer eigenen Moralität versichern. 


Sehr interessant die Reaktionen, es waren netterweise auch sehr wohlwollende, verständige und gute darunter ... Denkanstöße habe ich von allen reichlich erhalten, dafür ein Danke!