Japans Schattenseite


Mit 'Japan nach Sonnenuntergang' ist Wolfgang Herbert eine spannende Symbiose zwischen Erlebnisroman und wissenschaftlicher Studie über Japans dunkle Seite gelungen.


Von Claudia Haevernick


Herbert lebt und arbeitet seit über 14 Jahren in Japan. Er ist Gastdozent für Soziologie, Vergleichende Kulturwissenschaften und Deutsch als Fremdsprache an der Universität Tokushima. Bereits in seiner Magisterarbeit befasste er sich mit dem heiklen Thema "Yakuza", der so genannten japanischen Mafia.

In seinem Buch "Japan nach Sonnenuntergang, Unter Gangstern, Illegalen und Tagelöhnern" untersucht er die dunkle Seite eines Landes, über das unser westliches Wissen starke Lücken aufweist und das nach außen hin oftmals als sehr angepasst und homogen erscheint.

Seine Arbeit ist in acht Kapitel unterteilt, die sich mit den "Randerscheinungen" Japans beschäftigt: Tagelöhner, Kriminalität und Prostitution. Sein Schwerpunkt liegt jedoch auf der organisierten Kriminalität der Yakuza, die folglich den größten Teil des Buches ausmachen. Begleitet wird er von Andô, einer aus drei realen Personen zusammengesetzten Figur, die ihn in die tieferen Hintergründe der Yakuza einweiht. Andôs Geschichten, die Herbert in Kursivschrift einfügt, entsprechen Tatsachen, sind von ihm eins zu eins übertragen worden und bieten somit ein authentisches Bild der japanischen Subkultur.

Im Vergleich zu anderen Industriestaaten weist Japan eine beträchtlich geringe Kriminalitätsrate auf, was jedoch hauptsächlich die räuberische Gewalt auf der Straße betrifft. Dafür wird Japan jedoch von einem dichten Geflecht aus organisiertem Verbrechen und Korruption überdeckt. Vor allem auf den Ebenen von Politik, Bürokratie, Bankwesen und Wirtschaft, hat sich die Yakuza als feste Größe etabliert.

Die Mitglieder der Yakuza setzen sich vor allem aus Deklassierten und Diskriminierten, verwahrlosten Jugendlichen und anderen ausgestoßenen und geächteten Personen zusammen. Sie rekrutieren sich also genau aus jenen, die keine realen Aufstiegs- oder Überlebenschancen in der japanischen Gesellschaft besitzen und deren einziger Ausweg der Eintritt in eine kriminelle, für sie aber auch familiäre Vereinigung besteht. So ist auch, wie in anderen, ähnlich strukturierten Organisationen, die enge Bindung und die lebenslange bis in den Tod hinein gehende Treue zu erklären.

Die enormen Einkünfte der Yakuza setzen sich aus Drogenhandel, Glücksspiel, Schutzgelderpressung und Prostitution zusammen. Die letzten 20 Prozent kommen aus dem so genannten Legalen Business. Daraus ergibt sich schätzungsweise ein Jahreseinkommen von 1,3 Billionen Yen. Dementsprechend ist auch der Lebensstil der Mitglieder ausladend und extravagant.

Während sich die jungen Yakuza auffällig grell und provokant kleiden, mit weißen Lederschuhen, Seidenhemden und viel Goldschmuck, tragen die Bosse teure Markenkleidung, maßgeschneiderte, traditionelle Kimonos oder edle Anzüge. Die Yakuza versucht nicht, in der Gesellschaft unterzutauchen oder sich möglichst unauffällig im Untergrund zu bewegen, im Gegenteil: Mit einem einigermaßen geübten Blick erkennt man Mitglieder sofort und kann ihren Status an ihrer entsprechenden Aufmachung deutlich ablesen.

Das Buch lässt fast kein Detail aus und ist für eine wissenschaftliche Feldstudie erstaunlich spannend und gut zu lesen. Daher kann sie von Laien und Japaninteressierten sehr gut verwendet werden, denn trotz der Fülle an Informationen und Fakten, lässt sie immer einen roten Faden der romanähnlichen Struktur erkennen.

Wolfgang Herbert ist eine spannende, authentische und informative Arbeit über ein Thema gelungen, das bisher in der Schilderung der japanischen Kulturgeschichte keinen Platz fand. Der Autor nimmt sein Wissen aus seinem eigenen Erfahrungsschatz, den er sich über die Jahre angesammelt hat. Stets wird er von Einheimischen begleitet, wodurch er einen unverfälschten Blick auf die japanische Schattenseite werfen konnte.


"Japan nach Sonnenuntergang, Unter Gangstern, Illegalen und Tagelöhnern", Wolfgang Herbert, Reimer (2004), 269 Seiten.




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