Zipangu

 

"Die Freiheit ist nur für diejenigen das höchste Gut, die von dem Willen, Ketzer zu sein, beseelt werden."                              (E. M. Cioran)

 

 

Ex-zentrische Kaprizen zu den Reizwörtern "Heimat & Fremde"

 

     Aus Japan soll ich berichten, dem Land, in dem sich gegenwärtig die Skandale die schmierigen Hintertürknäufe in die schmutzigen Hände geben, wo die Banken an faulen Krediten verrotten und die Wirtschaft seit Jahren dahinsiecht - wie vom Rest der Welt - und früge man nach dem Selbstverständnis wäre das wohl vor- und vernehmlich die USA - nicht ohne Häme und genüßlich registriert wird. Aus Japan, das in einem megalomanen Neureichenanfall vor nicht allzu langer Zeit noch gewähnt hatte, alles und alle Welt mit Geld aufkaufen zu können, selbst ganze Strände in Australien, an die sie dann ihre Alten und von einem zermürbenden Arbeitsleben Abgetakelten deportieren und deponieren hätten können. Aus dem angeblich von gewi ziemlich wahnwitzigen Göttern geschaffenen Inselreich soll ich eine Depesche schicken, aus dem weiland idyllischen Eiland, in dem drogenspritzende Polizisten, Teenagerprostituierte, Giftgas schleudernde Sekten, Atomunfälle und Sprünge in den Scheiben der Superexpresszüge einer lange gehegten Seligkeit den Garaus machen und deren Bewohner sich darob in ihr Inselhaus verkriechen, um in einem notorisch beschworenen Gefühl des Nichtverstanden- und Ausgestoßenseins zu schmoren und zu schmollen. Kennen wir das nicht ohnedies von anderswoher? Oder wollen Sie was wissen über Zen und Teezeremonie und minimalistische sthetik und die Blickverengung, die Bonsai-Optik, die nötig ist, um diese überhaupt noch zu entdecken. Nein, davon will ich nicht reden, ich bin kein Großinterpret und -inquisitor, kein Reportagenkolporteur, kein Nationalcharakteranalytiker - das schon gar nicht.

 

     Zu einer geistigen Freibeuterfahrt jenseits aller Hoheitsgewässer mit dem stechenden Wort "Heimat" im Nacken oder Nachen, habe ich mich eingeladen. Von meiner Befindlichkeit kann ich demnach reden, von meinen Grillen und Lieblingsideen - wenn das verfemte Wort "Heimat" ins Gedankenspiel kommt, zum Beispiel. Zehn Jahre bin ich nun im Fernen Osten, was Wunder, wenn man da auf absonderliche Ideen verfällt. Ich lebe schlielich unter Insulanern, die mich auf ewig behandeln wie einen Ausgesetzten, Schiffbrüchigen, Verirrten. Strand- und Wald- und Reisläufer bin ich, ja, und verkrachter Glücksritter vielleicht, all das und mehr oder weniger. Denn für die Leute hier bin ich in erster und letzter Linie der Fremde. Sichtbare Minderheit. Lebende Provokation. Dem sei hier treugeblieben. Und jeder und jede kann schamlos seine infamen Geschichten in mein Gesicht dichten.

 

     Der Fremde der Art bin ich, "der, der heute kommt und morgen bleibt - sozusagen der potentiell Wandernde, der, obgleich er nicht weitergezogen ist, die Gelöstheit des Kommens und Gehens nicht ganz überwunden hat", wie Georg Simmel trefflich notiert. Täglich hingegen und stündlich entwinde ich mich den Denkfallen und Schlingen, die mir hier gelegt werden, entschlage ich mich dem "wir und die anderen", dem unerbittlich zwischen Japanern und Ausländern trennenden Brett vor dem Kopf.  Denn Stammzaungast bin ich, Zugvogel mit Domizil im Osten und kalt gewordenem Nest im Westen, weiße Krähe, geachtet und geächtet, den wildesten Gefühlsoszillationen ausgeliefert zwischen Lust auf Amoklauf und heiterem oder angeheitertem Eingestimmt- und Einverstandensein. �brigens lauert dieselbe Launenausschlagsbreite in mir, so ich mich auf einem meiner regelmäßigen Transits in Alemannien befinde. Leben in der Achterbahn.

 

     Haben Sie Heimweh? fragen sie mich, und ich sage: Wonach? �fter noch: Mögen Sie Japan? und ich erwidere: Was meinen Sie? Die Leute, die Natur, das Essen, die Kultur ... ? Aber sie wollen keine Differenzierungen, sie wollen vorbehaltlose Zustimmung. Nur: ich beliebe, meine Vorlieben ungeachtet jeder Herkunftsbezeichnung zu verteilen. In meiner Klause trinke ich Wein, wohltuender Speicher und Spender tausender mediterraner Sonnenstunden, höre die Musik meiner Seelengeschwister, der Roma, diesen rauhen Schluchzer in ihren Stimmen, diese blitzhelle Melancholie, diesen Schrei nach Heimat, die es bei diesen Klängen hinieden schlechterdings nicht geben kann.

 

     Ich flaniere die kalten Betonflanken der Stadt entlang und lasse den Goldstaub des Gingkolaubes von meinen Schuhspitzen stieben und den purpurnen Schatten des Ahorns meine Schultern streifen. Nie angekommen, nie angenommen hier, überfällt mich dieses absolute Nicht-von-dieser-Welt-Sein, eine ekstatische Verheißung von Befreiung, ein nahezu debil machendes, gefährliches und flüchtiges Glück. Ein zarter Anfänger, wem süß noch schmeckt der Heimatstaub, so Hugo von St. Viktor, vollkommen der, so weiter, dem die ganze Erde zur Fremde geworden ist. Von keinem billigen Kreditkarten-Weltbürgertum sei jedoch die Rede. Nur: ich lasse mich nicht eingemeinden, la mich nicht nieder und einfrieden, auf kein Etikett verpflichten, schon gar nicht wehrverpflichten. Ich ziehe in keinem Namen, für kein Land, keine Flagge und keine Obrigkeit in den Krieg. Auch hierin bin ich mit den Roma einig. Obwohl ich damit rechnen kann, für diese Chuzpe bezahlen zu müssen. Und wenn es nur Spott ist und das herablassende historisch informierte Besserwissen. Aber ich halte es mit Paul Nizon: "Mein ... Weidegrund verteilt sich über viele Orte und Länder und mokiert sich über den Schlagbaum der Grenz- und Zollstationen. Und auf der Fahne, hätte ich eine zu hissen, könnten Lebenshunger und Weltliebe prangen."

 

     Von einem Bild möchte ich noch schnell erzählen, das ich kürzlich erhascht habe auf einem meiner ausgiebigen Spaziergänge, ja ich spaziere derart ausschweifend oft herum, daß ich mir denke, ich sollte mir einen Hund zulegen, um nicht den Verdacht zu erregen, ein unnützer Streuner zu sein. Da sehe ich also dieses Blumenbeet mit dutzenden im Winde zitternden Astern, die sich an einen Holzzaun schmiegen. Und eines dieser bestengelten filigranen Sternchen hat sich durch ein Astloch des Bretterverschlages gewunden und lugt nun auf die andere Seite der Bohlenwand. Für ihre Schwestern, die nur noch ihren Nacken sehen können, wohl hoffnungslos verloren, erkundet sie, die Ausbrecherin, neckisch die jenseitige Welt. Ich habe mich auf der Stelle mit ihr verbündet.

 

     Heimat habe ich im Reich des Schönen, wo die blauen Blumen blühen und silberne Vögel ihre Kreise ziehen, trällere ich. Du spinnst wohl, du heilloser Romantiker, schimpft mein Freund, was fällt dir schönheitstrunkener Seele nur ein! In einer anderen Anwandlung schwärmst du vom Aroma des Bodensees oder der Melange im Café Hawelka. Und du liest Gedichte aus der Alten Welt und wirst sentimental. Oder du schwadronierst: der Hafen ist der Frauenscho, der Ursprung des Universums, das Numinosum, die Verschmelzung, die unio mystica. Eine Gebetsfahnenaufschrift schreibst du hier, fährt er fort, ein Manifest, ein irreales, ideales. Deine Desperado-Haltung, deine Rhapsodie auf die Freiheit sind ja nur die Entladung einer trotzigen Traurigkeit über einen Verlust, den du nicht festmachen willst. Nebbich, meine ich, denk an das, was ich gewonnen habe!

 

     Was da wohl geblieben ist, mu ich mich dann doch fragen, ja, da sind hinterbliebene liebe Freunde und Freundinnen und Kindheitsinbilder, aber genügt das, um von Heimat daherzufaseln und sind wir uns nicht selber fremd geworden über die Jahre. Ich bin in der Heimat fremd und in der Fremde zu Hause, das eine ist mir das andere und letztlich ist es das Gelingen des Unterwegsseins, das zählt. Eine taoistische Plattitüde ist das, wirft mein Freund ein, und unterwegs bist du abends und schlingernd, du Schwärmer, da suchst du Unterschlupf und Unterstand in den Apotheken, wie du die Bars zu nennen beliebst, um dich von den Nachtschwestern trösten zu lassen. Auf Realitätsflucht bist du, du leidest an Amnesie und schwindelst dich in wurzellose Höhen hinauf. Entwurzelt, deracin�, ohne Rasse, meinetwegen, entgegne ich. Da hast du es schon wieder, kommt die Replik, so kann nur einer dahersalbadern, der müßiggängerisch zu lange am Arsch der Welt gewohnt hat, auf Erdbebenboden zumal. Und wenn du dann in Bregenz bist oder in Wien oder Paris, dann sei da dieses umstandslose Eingepaßtsein, diese namenlose Vertrautheit da, erzählst du, und du willst mir erklären, daß du ein von allem abgekappter Ballonfahrer bist. Heiße dünne Luft, mein Lieber.

 

     Ein Zugeständnis willst du jetzt von mir haben, so ich, an mein Europäersein vielleicht, aber das ist dir wahrscheinlich wieder zu abstrakt. Oder willst du eine Deklaration, da ich Vorarlberger oder Österreicher sei. Das bin ich allenfalls und unbestreitbar auch, allerdings nie und niemals ausschlielich. Zwangsjacken sind das, solche kleinkarierten Identitätsmäntel. Die waren mir immer schon zu eng. Ich wei, du willst mich in eine versöhnlichere oder gnädigere Ecke drängen, willst mich an irgendeinem emotionalen Rest aufziehen. Gut, ein Residuum, ein Refugium, das gibt es zweifellos. Aber die sind im Kopf oder im Herzen und mitnichten topographisch einz�unbar. Ich will mich nun wirklich und partout nicht festlegen lassen, mein Tau um keine Verankerung knüpfen. Das la mal meine freischwebende Note sein, vibrierendes Elementarteilchen in der Polyphonie der heutigen Welt. Ungeschütztheit gilt es auszuhalten wie den nächsten Stimmungsumschwung. Apropos, jetzt sei dir doch was konzediert: Mit dem hier Gesagten verhält es sich wie mit einer dahinschaukelnden Flaschenpost. Nach deren Auswurf ist es immer schon zu spät, das Geschriebene zu widerrufen. Und bei ungewisser Ankunft ist es sowieso schon alt und falsch.   

 

     Noch ein Anlauf: Bin ich ein Fahnenfl�chtiger, ein Vogelfreier, ein Verr�ter? Gerne, für alle, die neue Heimatverbundenheit und Bodenhaft(ung) verkünden. Die halte ich allemal für bedrohlicher und brandstifterischer als meine Entfesselungsallüren. Den h�ben wie drüben sitzengebliebenen Stammtischpredigern schleudere ich unbeirrt mein - mag sein - banales Manifest der nationalen und sonstigen Ungebundenheit entgegen wie einen Fehdehandschuh. Auch wenn's ein reichlich fiktionaler ist. Streiten sollen sie selbst um ihn. Hoffe nur, ihnen zu entwischen, wenn sie zu Häschern werden.

 

     Noch bin ich Freigänger im Land, in dem winters die Bergazaleen blühen und die Kamelien, die ich meiner polynesischen Konkubine ins Haar flechte, die da lockend flüstert: Los, komm unter meine Decke, wir segeln nach Tahiti, mit diesem deinem Heimatzeugs kommst du sonst nirgendwohin.

 

     Vielleicht gibts von dort mal eine revidierte Depesche aus der Flasche. Möglicherweise zerschellt sie auch an den spitzen Klippen einer neuen oder anderen Wirklichkeit. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Erschienen in:

V # 5 - Vorarlberger Zeitschrift für Literatur: Passgänge ... und Grenzsteine, 2000,48-52